Warum Berlin manchmal einfach nur weh tut

Wenn man wie ich, seit zarten 36 Jahren, in Berlin lebt und diese Stadt und ihren Wandel über die Jahre hinweg miterlebt und verfolgt, der stellt fest, dass es inzwischen ziemlich kuschelig geworden ist.

Eine Kolumne von www.beta2version.de

Und das nicht nur im positiven Sinne. Berlin ist laut, dreckig und überfüllt. Auf viele wirkt das wie ein Magnet und von den Touristen-Ströhmen mal ganz abgesehen, beschließen viele, wie vom Fernweh gepackt, diese Stadt zu ihrem neuen Zuhause zu machen. Berlin wächst und damit einher geht auch viel Wachstumsschmerz. Eine Beobachtung.

Dass Berlin aus allen Nähten platzt, bekommt man vor allem mit, wenn man gezwungen ist, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Wer mich kennt, weiß, dass meine Hassliebe zur U8 echt ist und diese U-Bahn-Linie seit nunmehr zehn Jahren quasi mein zweites Zuhause ist. Das Fahrrad geklaut und keinen Führerschein zur Hand, bin ich gezwungen, meinen Alltag Haut an Haut und dicht zusammengedrängt mit fremden Personen mithilfe des öffentlichen Nahverkehrs zu meistern. Der Slogan #weilwirdichlieben wird dabei von Mal zu Mal grotesker. Wenn man dann auch noch großer Fan der eigenen Comfort Zone ist und körperliche Kontakte nur auf ein Mindestmaß reduziert, um nicht zu sagen, so gut es geht versucht zu vermeiden, ist mit einer Fahrt mit der U8 ganz schlecht beraten. Vollgepumpt mit Viren in der Winterzeit und gescheiterten 48-Stunden-Deos im Sommer kann die Fahrt mit der U-Bahn ganz dezent in Gereiztheit ausarten. „In kurzer Zeit zum Hypochonder – 2,80 Euro – aber nur im Tarifbereich AB“ kommt dem Ganzen etwas näher als #weilwirdichlieben.

Ein Phänomen, das wir alle kennen und mehr oder weniger in Anspruch nehmen, ist die Schlange vor dem Berghain. Inzwischen ist der Gang ins Berghain fast wie das sonntägliche Tatort schauen. Jedes Wochenende, egal, ob es stürmt oder schneit oder die Sonne knallt, tummelt sich vor dem grauen Klotz Nähe Ostbahnhof eine nicht unbeträchtlich lange Schlange, die inzwischen auch eine eigene Webseite hat. Da ich das Berghain seit geraumer Zeit nicht mehr besucht habe und meine Augen eher nach neuen Locations bei mir im Wedding suchen, stieß ich vor Kurzem auf eine sehr lange Schlange bei mir in der Hood. Da es Samstag Vormittag war, wunderte ich mich über den langen Zustrohm vor einem Wohnhaus und hoffte auf einen neuen Club, der dazu beitragen würde, dass der Wedding nicht mehr nur kommt, sondern auch voll da ist. Dass Wohnungsbesichtigungen und Club-Schlangen langsam dieselben Ausmaße annehmen, bekam ich erst später mit.

Berlin ist voller geworden. Reizüberflutung inklusive. Leider führt mich mein Weg oft durch die Alte und Neue Schönhauser Straße Richtung Hackescher Markt. Touristen, die nach oben gucken (das Warum, bleibt mir ein ewiges Rätsel) und vollgestopfte Straßen rufen bei mir jedes Mal puren Stress hervor. Da ich immer einen, sagen wir, zackigen Schritt drauf habe, bin ich quasi jedes Mal genervt, wenn ich diesen Teil der Stadt durchlaufe. Meine Zuflucht ist meine Wohnung am Rande von Wedding, umgeben von einem großen Park und einem kleinen See bei mir in der Nähe. Ich hab zwar nicht den Späti um die Ecke – ein Glück, denn so hält sich mein Zigaretten- und Wein-Konsum in Grenzen. Was ist die Alternative? Nach Brandenburg aufs Land ziehen? Vielleicht irgendwann mal später. Dann aber mit Führerschein, den ich noch machen muss. In der Zwischenzeit hole ich mir meinen Ausgleich durch Abende am Schäfersee und suche mir einen Platz in der U8 in der Nähe zur Tür. Da gibt’s Luft zum Atmen, und wenn es hart auf hart kommt, eine Möglichkeit zum Fliehen. Und überhaupt: Spazieren gehen ist eh toll!

(Artikelfoto: Foto: Soroush karimi / Unsplash.com)

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