Stettin/Oder, Pommern, 1942, Die Familie war vollzählig beisammen. Auch meine beiden großen Brüder waren da, darüber freute ich mich ganz besonders. Beide waren Soldaten. Hans hatte 36 Stunden Urlaub bekommen, er diente bei der Kriegsmarine, bei der U-Boot-Waffe, und Hugo, dessen Unterkiefer von einem Granatsplitter verletzt war, wurde kurz vor Weihnachten aus dem Lazarett entlassen.
Ein großer Weihnachtsbaum mit Wachskerzen strahlte im Eßzimmer. Als der Weihnachtsmann klopfte, war ich der Mittelpunkt der Familie. Zwei Lieder und ein Gedicht wurden mir als Preis für die Geschenke abverlangt. So recht glaubte ich mit meinen knapp sechs Jahren nicht mehr an den Weihnachtsmann; aber Angst hatte ich doch, als er mit der Rute drohte und mir das Versprechen abnahm, immer artig zu sein und meiner Mutter, Oma und Anni zu gehorchen. Anni Pieper war mein Kindermädchen und zugleich unsere Haushaltshilfe.
Die Teile flogen zu allen Seiten davon
Die Geschenke waren eine Wucht: Soldaten und eine Blechkanone, die man mit Knallerbsen oder Ähnlichem laden konnte; eine Burg mit Rittern und Pferden. Und ein großer Kreuzer, der Aufbauten und Kanonen aus Holz hatte; dazu ein Torpedoboot, das mittels einer Spannfeder einen Holzbolzen als Torpedo abschießen konnte. Wenn man an dem Kreuzer die markierte Stelle richtig traf, flogen alle Aufbauten mitsamt den Kanonen in die Luft. Ein Mechanismus mit Feder, ähnlich einer Mausefalle, löste die Spannvorrichtung am Kreuzer und ließ die Teile davonfliegen. Getroffen habe ich das Schiff zweimal, aber zusammensetzen konnte ich es noch nicht. Die Spannfedern waren viel zu kräftig. Hans und Hugo halfen mir dabei, sie erklärten mir geduldig die Funktionsweise und hatten ihren Spaß daran.
Ich beneidete meine beiden Brüder. Sie waren an der Front. Die Erwachsenen sprachen immer von der Front. Das Wort Front hatte für mich etwas Faszinierendes. Da gab es Schlachten, Helden, Heldentote und wichtige Kämpfe mit den Feinden des Deutschen Reiches. – Hans und Hugo hatten genug Geduld mit mir bewiesen, sie zogen sich zurück und wollten sich in Ruhe unterhalten. Schließlich sahen sie sich nur selten. Voller Begeisterung wollte ich aber überhaupt nicht mehr aufhören zu spielen und als auch alles gute Zureden nicht half, drohte mein Vater: „Wenn du jetzt nicht hörst und ins Bett gehst, kommt der Weihnachtsmann wieder und nimmt dir alles weg!“ In diesem Moment klingelte es an der Vorsaaltür und meine Mutter rief ins Zimmer: „Der Weihnachtsmann ist wieder da!“
Wenn der Weihnachtsmann zweimal klingelt
Vor Schreck verkroch ich mich unter dem Esstisch. Tatsächlich trat ein Weihnachtsmann in unser Zimmer und fragte: „Wo steckt denn der Rudi?“ Jetzt ist alles aus, dachte ich und stellte mich schützend vor mein Spielzeug. Dann aber bemerkte ich, daß das ein anderer Weihnachtsmann war. Ich schluckte, sagte noch ein Gedicht auf und erhielt als Belohnung dafür einen Beutel mit Nüssen und Bonbons. Darauf wünschte der Weihnachtsmann allen ein gesegnetes Fest und ging wieder. Mein Gott, hatte ich einen Schreck bekommen! Anni schnappte mich und – marsch! – ging es in die Federn. Als ich viele Jahre später meiner Mutter davon erzählte, klärte sie die Geschichte auf. Herr Gebauer, der mit seiner Familie über uns wohnte, hatte mir als Weihnachtsmann eine Freude bereiten wollen.
Diese Geschichte wurde dem Buch „Unvergessene Weihnachten“, Band Nr. 5, entnommen. Es wird vom Zeitgut Verlag Berlin verlegt.
Die Berliner Lokalnachrichten verlosen 3 x das Buch „Unvergessliche Weihnachtsgeschichten“, Band 5. Zur Teilnahme senden Sie bitte eine E-Mail an gewinnen@berliner-lokalnachrichten.de und geben das Stichwort „Unvergessen“ an. Einsendeschluss ist der 9. Dezember 2018.
Rechtsweg und Auszahlung sind ausgeschlossen. Die Teilnehmerdaten werden ausschließlich für die Durchführung der Verlosung verwendet. Bildrechte: ©Zeitgut Verlag GmbH
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