Ein Kommen und ein Gehen

Streifzug die Tauentzienstraße
Akrobatischer Tänzer auf dem Breitscheidtplatz

Leben, wo täglich tausende Menschen einkaufen – ein Streifzug durch das Viertel um die Tauentzienstraße in der City West

Das Geschäftsviertel an der Grenze zwischen Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg reicht vom Breitscheidplatz im Westen bis zur nördlich verlaufenden Budapester Straße, bis zum Platz An der Urania im Osten und bis in die angrenzenden südlichen Seitenstraßen der Tauentzienstraße.

Wie heißt das Viertel hier? Der junge Mann mit Sonnenbrille auf dem begrünten Mittelstreifen der Tauentzienstraße antwortet prompt: „Na, Charlottenburg!“ So heißt der Ortsteil ja, und weiter? Kurzes Lachen. „Wie jetzt?“, er nimmt die Sonnenbrille ab und überlegt kurz, während sein Bekannter über ein Smartphone streicht, und blickt um sich: „Es hat keinen Namen.“ Die zwei verabschieden sich und laufen in Richtung Wittenbergplatz. Ähnlich wie sie antworten andere PassantInnen, AnwohnerInnen und Angestellte um die Tauentzienstraße.

Zwar habe die täglich von tausenden Menschen wegen ihrer vielen Läden aufgesuchte Straße einen anderen Charak-ter als das östlich beginnende Viertel hinter dem Platz an der Urania oder dem westlich angrenzenden Breitscheidplatz mit der Gedächtniskirche und seinen vielen Veranstaltungen. Nur, einen Namen? Nein.

Vielen PassantInnen ist selbst der Straßenname Tauentzienstraße ungeläufig. Sie halten die Straße für den verlängerten Kurfürstendamm, kurz Ku‘Damm. Die Bezeichnung als Geschäftsviertel trifft diese Berliner Gegend am besten. Seine zentrale Straße ist die Tauentzienstraße, ihr Verkehrs-knotenpunkt der Wittenbergplatz. Auffällig ist ferner, dass fast alle umliegenden Seitenstraßen Namen von deutschen Städten tragen, so beispielsweise die Bayreuther Straße, die Nürnberger Straße oder die Marburger Straße.

Blitzblank

Massen an Menschen verkehren täglich durch das Viertel. Zum Einkaufen, zum Arbeiten, zum Aufsuchen von Ärzten, zum Spazierengehen, zum Umsteigen, zum Teilnehmen an Demonstrationen, zum Besuchen von Kino und Kabarett, zum Essen in Gastronomien, zum Ansehen von Berlin usw… Vor einem fünfstöckigen Elektronikmarkt am westlichen Ende der Tauentzienstraße neben dem Europacenter weisen unzählige Enden von gerauchten Zigaretten in den Ritzen des Kopfsteinpflasters auf die Menschenmassen hin. Auf den Gehwegen und dem Grünstreifen in der Straßenmitte ist ansonsten kaum Weg-geworfenes sichtbar. Alles scheint geregelt und gepflegt. Aus den Lautsprechern an der Fassade des Elektronikmarkts schallt nicht zu laute Musik. Werbefahnen mit steinernem Fußsocken sind ordentlich und sicher neben der Fahrbahn aufgestellt. Die Fassaden der vielen Läden in Erdgeschossen und Dutzenden mehrstöckigen Läden glänzen. In mobilen Imbissständen leuchten frisch angeschnittene Orangen.

In einem der Imbisse, einem stationären, schneidet Max Schulz Rote Beete.* Nicht nur das. Der etwa 45-Jährige Mit-arbeiter der Kleingastronomie an der Ecke zur Marburger Straße namens Schlemmerpylon Meistertreff. Alfred schwitzt, läuft in dem erdgeschossigen Laden hin und her, sortiert in Sekundenschnelle Getränke in Kühlschränke für seine KundInnen, zerkleinert Ingwer in einem Mixer, beobachtet Tische draußen, gibt Anweisungen an einen anderen Mitarbeiter, unterhält sich abwechselnd mit einem Gast und den Berliner Lokalnachrichten.

Verstecktes Kiezleben

„Das ist hier schon gewachsen“, beschreibt er den Zusammenhalt zwischen AnwohnerInnen aus den Seitenstraßen, Geschäftsleuten und BesucherInnen. Man kenne sich. Bei den vielen Geschäften sei es anders. „Ein Kommen und Gehen ist das“, kommentiert er die im Laufe der Jahre oft wechselnden Geschäfte. Auch Hotels gingen. Er deutet mit seinem Blick in Richtung eines das Viertel überragenden neuen Hochhaus-Hotels am Zoologischen Garten. Ob das in mehreren Jahren noch das gleiche sei, wer wisse das schon. Er wendet sich einem Gast zu, einem Fernsehmoderator und Restaurantkritiker aus Köln, der einmal wöchentlich erst im nahe gelegenen Kaufhaus KaDeWe essen gehe und danach einen Ingwer-Getränk trinke.

Draußen laufen an dem Tag trotz regnerisch-windigem Wetter hunderte Menschen auf beiden Seiten der breiten Tauentzienstraße entlang. Mit Tüten, Taschen und Rucksäcken. Auf dem Mittelstreifen bewegen sich deutlich weniger PassantInnen. Einige ruhen sich auf langen steinernen Sitzbänken aus. Andere nutzen den Weg als Alternative zu den vollen Gehwegen rechts und links der Straße.

Einst fuhren auf dem Mittelstreifen Straßenbahnen entlang. Ab dem frühen 20. Jahrhundert wurde die Tauentzienstraße zu einem Zentrum des Einzelhandels ausgebaut. Ihren Namen erhielt die Straße übrigens nach einem Militärangehörigen der preußischen Armee. Bogislav Friedrich Emanuel bekam für sein Mitwirken in zwei Schlachten in Dennewitz und Wittenberg den Titel: „Von Wittenberg“, verliehen. Die Tauentzienstraße mündet städtebaulich in dem monumentalen U-Bahnhof Wittenbergplatz. Der verkehrsgünstig gelegene Platz war nicht nur mit zwei U-Bahn-Linien erreichbar, sondern auch über den Kreisverkehr am Gutenbergplatz, heute Breitscheidplatz via Pferdekutschen, den ersten Autos und Bussen. An dem Platz wurde 1907 auch das achtstöckige Kaufhaus KaDeWe gegründet.

Um die durch die Namen Tauentzienstraße und Wittenbergplatz hervorgehobene preußischen Armee historisch einzuordnen, steht auf dem Wittenbergplatz heute ein mehrere Meter hohes Mahnmal. In gelber Schrift auf braunem Untergrund steht dort: „Orte des Schreckens, die wir niemals vergessen dürfen“. Darunter werden zwölf Konzentrations-lager der Nationalsozialisten aufgelistet, unter anderem Auschwitz, Treblinka und Dachau.

Für TouristInnen

Anderer Tag, andere Tageszeit (25. Juli). Die Tauentzienstraße bei Nacht. Die Straße ist kaum wiedererkennbar. Kaum jemand hält sich nach 23 Uhr in ihr auf. Heute fand hier abends ein Nachtlauf statt. Kurz vor Mitternacht ist längst alles vorbei. LKWs und Kleinlaster transportieren Stände und Absperrgitter von der Laufveranstaltung ab. Auf einem Stein unter einer Laterne vor dem U-Bahnhof Wittenbergplatz sitzen drei junge, erwachsene Berliner.

Sie schauen die Tauentzien-straße entlang in Richtung Gedächtniskirche und warten auf eine junge Frau, die gleich kommen wird und mit der sie dann mit einem BVG-Bus in Richtung Kreuzberg fahren werden. Einer der Berliner wohnt in der Nähe und erzählt. Die Tauentzienstraße sei etwas für Touris. Für sie werde die historische Vergangenheit in dem Viertel herausgeputzt, vermarktet, verzerrt. Schade, bilanziert er, dass aus dem vorhandenen historischen Bestand nicht mehr gemacht werde. Die Straße und mehr noch, der größere Stadtbereich City West spiegele kaum Berlin multikulturelles Leben wider. Außer einer wöchentlichen Disko im Europacenter gebe es um die Tauentzienstraße kaum Erlebbares für junge Menschen. Wie auch immer, zum Glück sei Berlin sehr viel mehr. Einer der Berliner umarmt die ankommende Frau und sie fahren los in die Samstagnacht.

*Name von Redaktion geändert.

(Artikelfoto: Akrobatischer Tänzer auf dem Breitscheidtplatz – Foto:© J.Tust)

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