Zuhause neben der Fanmeile

Zuhause neben der Fanmeile

Zuhause neben der Fanmeile – Ein Streifzug durch das Hansaviertel

Das Hansaviertel liegt am Tiergarten in Mitte. Die Siegessäule am Platz Großer Stern begrenzt das Viertel südöstlich, der Tiergarten südlich, die Spree westlich und nördlich. Im Osten grenzt das Viertel an den Schloßpark Bellevue.

Heinz Pohl sitzt mit einem Glas Wein in der Nachmittagssonne, zieht langsam an einer Zigarette und beobachtet den Trampelpfad neben sich (16. Juni). Kaum jemand nimmt den längeren gepflasterten Weg am südlichen Hansaplatz zwischen Altonaer Straße und U-Bahnhof. Eltern mit Kind und Einkaufstasche, BibliotheksbesucherInnen mit Fahrrad, TouristInnen, BerufspendlerInnen auf dem Weg zur U-Bahn. Hier überquert das Viertel den Platz.

Der rund 80-jährige ehemalige Diplomat lebt seit Jahrzehnten im Hansaviertel. Er trifft sich hier im Bistro-Café Pizza Lavoro neben dem Trampelpfad mit einem befreundeten Ehepaar aus der Nachbarschaft.

Verkehr rauscht an dem sonnigen Tag über die viel befahrene Altonaer Straße wenige Meter weiter. Einige hundert Meter weiter wird am Abend die Fanmeile vor dem Brandenburger Tor den Sieg der deutschen Fußballmannschaft über Portugals Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft 2014 feiern. Die Fanmeile interessiert die drei Hochbetagten allerdings nicht. Mehr als 150 Meter Fußweg seien viel in ihrem Alter, erzählt Heinz Pohl. Zu viel.

Von Bagdad zurück zur U-9
Vor Jahrzehnten arbeitete Heinz Pohl als Diplomat im Auswärtigen Amt in Bagdad im Irak. Der Weg war nicht vorgezeichnet, erzählt er. Vorher hatte er im irakischen Basra am Goethe-Institut Deutsch unterrichtet. Noch weiter zurück brachte er sich mit der Hilfe eines Geistlichen in der Moschee am Berliner Platz in Charlottenburg-Wilmersdorf Arabisch bei. „Die haben sich in der Schule alle gewundert, dass ich Arabisch lerne!“ Eins führte bei ihm zum Anderen. Heute ärgert er sich darüber, dass die U-Bahn-Linie 9 in kurzen Zeitabständen unter seinem Einfamilienhaus entlangrattert. Trotzdem möchte er nirgendwo anders wohnen.

Peter Bisping sieht das ähnlich: „Wir kennen viele, die genau hier wohnen wollen.“ Der 78-Jährige begründete vor gut zehn Jahren den Kiezverein „Bürgerverein Hansaviertel“ mit, der sich um die Entwicklung und touristische Darstellung des Viertels kümmert.

Das Hansaviertel war und sei ein international geprägtes Viertel. Bereits die Häuser wurden von etlichen internationalen ArchitektInnen erbaut.

Damals in den 1950ern schrieb Berlin im Rahmen einer Bauausstellung einen Wettbewerb zum Wiederaufbau des Hansaviertels aus. Das alte Hansaviertel war im Zweiten Weltkrieg zum größten Teil zerstört worden. Der Wiederaufbau bekam Schwung, als die DDR in Ostberlin die monumentale Stalinallee baute. In Westberlin wollte man zeigen, so Peter Bisping, dass man es besser könne. Mit dem Hansaviertel sollte eine aufgelockerte, gemischte neue Siedlungsform in Berlin entstehen. Was gelang.

Die öffentlichen Erholungsflächen nahmen gegenüber den bebauten Flächen um das Vierfache zu im Vergleich zu vorher. In das Zentrum des Viertels wurde ein damals neuartiges Einkaufszentrum mit dem Namen „Dienstleistungs-Zentrum“ gebaut. Vorher prägten kleine Geschäfte in den Erdgeschossen die Versorgung in dem dicht bebauten Altbaugebiet. „Es gibt alles im Einkaufszentrum, was wir brauchen.“, sagt der Anwohner. Die drei müssen los. Sie haben Arzttermine.

Priestersuche und Bier-Ball
In der einige Meter entfernten Klopstockstraße kaut ein faustgroßer junger Feldhase Gras. Vögel zwitschern. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite schlendern zwei junge Männer mit Bierflaschen und einer Deutschlandfahne am Rücken die Straße entlang. Am Schaukasten der katholischen Pfarrgemeinde Sankt Laurentius am Hansaplatz kündigt Pfarrer Ernst Pulsfurt auf einem vier Jahre alten Aushang ein wöchentliches Gebet zum Finden neuer Priester für die Gemeinde an.

In der Bartningallee spielt eine Gruppe Jugendlicher im Schatten eines Baumes das Spiel Bier-Ball. Die Jugendlichen warten auf den Beginn des Deutschland-Spiels. Bier-Ball geht so: Eine Flasche ist in der Mitte zweier Mannschaften aufgestellt. Wer die Flasche mit einem Ball trifft, bekommt Bier zu trinken. Einen wirklichen Sinn habe das Spiels freilich nicht, so eine junge Anwohnerin mit den Farben der deutschen Flagge auf den Wangen, es geht nur darum möglichst schnell betrunken zu werden.

Die Anwohnerin genieße das Leben in dem Viertel. Das Viertel sei gut an das Verkehrsnetz angebunden. Bei den vielen Massenereignissen auf der Straße des 17. Juni könne sie zwischendurch ohne Umstände nach Hause gehen.

Traurig mache sie nur, dass sie zunehmend obdachlose und arme Menschen in dem Viertel im Straßenbild wahrnehme. Das liege zu einem Teil daran, dass der Otto-Park an der Turmstraße neu strukturiert worden sei. „Sie wurden vertrieben!“, sagt sie. Den anderen Teil kann sie sich nicht erklären. Der Jugendliche neben ihr auch nicht.

Er nimmt seine Vuvuzela in die Hand, das ist ein pfeifen-artiges Plastikrohr für Fußballfans. Er presst die Lippen aneinander und pustet durch das Rohr. Ein lautes Tröten schallt über den Hansaplatz. Kurze Zeit später finden sich AnwohnerInnen und BesucherInnen im Hansaviertel vor den Plasmabildschirmen von Gastronomien zusammen. Sie schauen gemeinsam Fußball. In der Ruhe der verlassenen Straßen gehen nur die FlaschensammlerInnen weiter ihrem Erwerb nach.

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