Die Leistung einer Übergangsgesellschaft wird ins Bewusstsein gerückt
In die durch alle medialen Ebenen sich schlängelnden thematischen Abwandlungen des diesjährigen Grundtenors „25 Jahre deutsche Einheit“, die wieder besetzt sind von friedlicher Revolution, dissidentischer Bürgerbewegung und den Schritten zur staatlichen , ist jetzt unerwartet ein abweichender Ton eingekehrt: im Deutschen Historischen Museum im Zeughaus Unter den Linden ist seit Kurzem eine vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) erarbeitete Ausstellung zu sehen, die die 25 Jahre auf das zurückschneidet, was eigentlich gemeint ist, aber durch die Verkürzung unzulänglich verallgemeinert wird. Es geht ja im Kern um 25 Jahre staatliche Einheit! Bei solcher Beschränkung bleiben die Fragen nach kultureller, sozialer und lebensweltlicher Einheit in bequemer Weise offen…
Die Ausstellung „Alltag Einheit“ wendet sich nun dankenswerterweise gerade diesem Aspekt des Themas zu. In den von Politikern, Historikern und Journalisten gehaltenen Dankespredigten kommt er ja – wenn überhaupt – nur erheblich unterbelichtet vor: der Umsturz der meisten Elemente des Alltagslebens der Ostdeutschen! Denn was zurecht im Zeichen des 75. Jahrestages von 1945 rückschauend als eine gewaltige integrative Leistung des deutschen Volkskörpers bewertet wird – die nach einem runden Jahrzehnt letztlich gelungene Einfügung von Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen in eine für sie fremde Lebenswelt! – das wird im Hinblick auf eine in gleiche Richtung weisende Leistung einstiger DDR-Bürger ganz marginal bewertet (und wenn, dann gern mit dem Schwerpunkt des gezogenen Resümees bei den nicht zu leugnenden millionenschweren Transferleistungen, die der Bundeshaushalt als Eingewöhnungshilfen locker machte). Dabei war der Weg zu einer inneren Einheit der wieder zusammengefügten Nation mit holprigen Stolperstellen reichlich gesegnet, denn von den Menschen zwischen Oder und Werra, Ostsee und Erzgebirge/Rennsteig wurde eine enorme Leistung bei Anpassung und Integration verlangt, der sie sich in kurzer Zeit zu stellen hatten. Anders als in den lobhudelnden Rückblicken, in denen demokratische Freiheiten, kulturelle Vielfalt, Reiselust und Zugang zur bunten Warenwelt die Hauptrollen spielen, rückt die Ausstellung die Gesamtheit der dramatischen Veränderungen im gesellschaftlichen Umfeld wie in der individuellen Lebenswelt in den Fokus der Aufmerksamkeit: sie nähert sich dem Thema EINHEIT, das als Gegenstand der Geschichte den Heutigen noch unter den Nägeln brennt, nicht von der Warte des Historikers, sondern von der des Strukturanalytikers – der
Sie widmet sich am Beispiel von Bischofferode und Horno der schmerzhaften Erfahrung, dass in der demokratischen Ordnung zwar öffentlich gegen empfundenes Unrecht protestiert werden kann – aber auch Lauthalsigkeit nicht gegen ökonomisch festgeklopfte Entschlüsse ankommen kann. Sie bringt mit der Hysterie um die DDR-Staatssicherheit und deren (oho!) flächendeckende Sammelwut mit der daraus entsprungenen Aktenflut den Schatten auf den demokratischen Erneuerungsprozess zur Sprache, der Hunderttausende von DDR-Bürgern mittels „Regelanfrage“ unter Generalverdacht stellte. Dankenswerterweise werden mit leicht durchschaubarer Ironie ebenfalls jene Erklärungsmuster vorgeführt, die mit abstrusen Theorien den minderen Gebrauchswert der neuen Landsleute für die in voller Blüte stehende bundesdeutsche Wertegemeinschaft zu belegen unternahmen: auch die Kuratoren machen sich lustig über den Angriff auf das „Topfen“ (sprich: gleichzeitiges Auf-dem-Töpfchen-Sitzen der Pfleglinge in DDR-Krippen und –Kindergärten), dem unterstellt wurde, es lösche das Gefühl für Individualität aus.
Die Ausstellung stellt ausdrücklich nicht den Anspruch, ein abgeschlossenes Bild des Aneinanderrückens der Deutschen in den Anfangsjahren ihres neu erstandenen Nationalstaats zu liefern – sie nimmt dagegen die Tragweite in den Blick, den der damalige Prozess für ein rundes Viertel der Nation mit sich brachte. So kann es nicht Wunder nehmen, das etliche Erscheinungen, die dem Zeitzeugen als relevant im Bewusstsein haften, dem Blickfeld der Kuratoren fremd geblieben sind. U..a. macht sie einen Bogen um die Welle von Selbstmorden, die die Statistik gerade für dieses Jahrfünft ausweist. Und während im Eingangsbereich ein selbstgefertigtes Plakat von der Massenkundgebung auf dem Alexanderplatz am 4.11.1989 witzig vor „Wendehälsen“ warnt und damit ein brennendes Thema jener Zeit anspricht, sucht man jene Facette vergeblich, die auf wunderbare Weise aus am 4. November noch hohnvoll bespotteten „Blockflöten“ mittels Fusion mit bundesdeutschen Schwesterparteien patentierte Demokraten schuf. Alles in allem aber: ist endlich ein Anfang gemacht bei der musealen In-Angriff-Nahme eines aufregenden Kapitels deutscher Geschichte mit d e n Mitteln, deren sich der Kultur- und Sozialwissenschaftler bedient.
Mehr Informationen: „ALLTAG EINHEIT. Porträt einer Übergangsgesellschaft“ – Ausstellung im DHM vom 27. Mai 2015 bis 3. Januar 2016 – www.dhm.de/ausstellungen/alltag-einheit.html, Tgl. geöffnet 10 – 18 Uhr, Eintritt 8,- EUR, erm. 4,- EUR. Jugendl. bis 18 Jahre frei. Die Begleitpublikation (103 S. mit zahlreichen Illustrationen) enthält neben 27 Interviews mit Zeitzeugen 15 Beiträge zu seinerzeit brandaktuellen gesellschaftlichen Segmenten, 12.80 EUR – ISBN 978-3-86102-190-2
(Artikelfoto: Supermarkt bei Rostock, 1991- Wie hier bei Rostock entstehen nach der Einführung der D-Mark überall in den neuen Bundesländern provisorische Supermärkte auf der grünen Wiese. Foto: © DHM, Thomas Hoepker)
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