Bahnlein deck dich

Ein Streifzug durch das Viertel um den Bahnhof Friedrichstraße …

Das Viertel reicht nördlich bis an die Spree, östlich fließt es in das Universitätsviertel der HU Berlin über, im Süden in die Seitenstraßen des Boulevards Unter den Linden sowie im Westen in das Berliner Regierungsviertel. So hat das Viertel um den Bahnhof zwar keine starke Identität, wird allerdings durch seine Geschichte und seine Umgebung unscharf abgegrenzt als: das Viertel um den Bahnhof Friedrichstraße.

„Guten Tag, gibt es hier Informationen über die Gegend hier? Die Entstehungsgeschichte?“, Frage an einen Mitarbeiter der Berlin-Abteilung bei Dussmann. Um ihn herum: glänzende Fotodruckcover, rote Wände, bunte Lampen, hunderte KundInnen. Dussmann, das ist der größte Laden im Einzelhandel nahe des Bahnhofs Friedrichstraße. Hauptsächlich werden hier auf mehreren Etagen Bücher verkauft. Der Mitarbeiter geht zu einem der Regale. Er verweist auf eine Reihe zu Berliner Stadtteilen, Stadtteilen in der Größe von Prenzlauer Berg. Ok, nein.

Gleich über der Reihe: bunte Nudeln in der Form von kleinen Brandenburger Toren. „Es gibt hier alles!“, versichert er. Außer Bücher zur Geschichte des Ortes, an dem sich das Kaufhaus befindet und zur Stadt, die hier früher einmal war. Nun gut, kaufen TouristInnen ja vielleicht eher nicht (4. Mai).

Bahnhofsviertel

Draußen regnet es an diesem frühen Nachmittag. Der Maianfang bringt gerade einmal gut 10 Grad an Temperatur auf‘s Thermometer, genauso kalt wie in St-Petersburg! Darüber informiert eine der zwölf gleichen, tafelgroßen Projektionsflächen im U-Bahnhof Friedrichstraße. Hier wird dutzenden wartenden BVG-Gästen zwischen Werbebeiträgen gerade der Wetterbericht zu ausgesuchten Städten in Europa gezeigt. Alle paar Minuten fährt eine U-Bahn der Linie U6 ein. Anders als bei den meisten anderen Berliner U-Bahnhöfen hat dieser hier ein Zwischengeschoss. Die Untergrundbahn musste einst besonders tief gebaut werden, um die nahgelegene Spree unterfahren zu können.

Eigentlich funktioniert der große Einkaufsbahnhof mit seinen vier Regional- und Fernbahngleisen, seinen S-Bahn-Linien, seinen Bus-haltestellen an enger Straßenführung und seinen vorbeifahrenden Tramlinien. Wären da nicht die Decken, die Etagendecken in der Haupthalle. Vor Jahren fielen einige Deckenteile im Bahnhof Friedrichstraße herunter. Zur Sicherheit wurde anschließend alles abgestützt. Inzwischen sind die meisten Stützen weg, und die meisten Deckenplatten auch.

Allernorts hängen bunte Kabel von oben herunter, teilweise fast greifbar. Isolierplatten sind sichtbar, alles wirkt wie eine unfertige Baustelle. Unten neben dem westlichen Zugang zu den Bahnsteigen 1 und 2 klappt ein Mann auf einer Hebetribüne in Ruhe einen Zollstock aus. Er misst etwas an einer der Kabel-Decken. Geduld ist ein Baum …

Vor dem südlichen Bahnhofszugang spielt jemand schief Mundharmonika. Unzählige Autos rollen über den nassen Asphalt der Friedrichstraße. Die Tauben, die im Bahnhof von den vielen Pikern an den Stahlträgern vom Niederlassen abgehalten werden, finden unter der S-Bahn-Brücke über die Spree in ihr Gefieder zurückgezogen Unterschlupf.

Einst Dorotheenstadt

Der Bahnhof stand hier nicht immer. Erst seit dem späten 19. Jahrhundert wurde er zum Thema. Vorher gab es hier mehr als zwei Jahrhunderte lang Stadt.

Die erste Stadt an dieser Stelle hieß Dorotheenstadt. Dorothea, Kurfürstin von Brandenburg, hatte diese Stadt gegründet und ausgebaut. Rund dreißig Jahre später ging die kleine Stadt mit eigenen Stapelrechten, Kirche und Friedhof in Berlin auf. Heute erinnern Ortsnamen wie der Straßenname Dorotheenstraße, das Karree Dorotheenhöfe und die seit jeher so benannte Mittelstraße an die einstige kleine Stadt an dieser Stelle.

Der weit bekanntere Name in dem Viertel ist Friedrich aus Friedrichstraße. Der Straße bezieht sich auf Friedrich Wilhelm I, den König von Preußen. Er schuf die ursprünglich nahegelegene Friedrichstadt inklusive Boulevard Unter den Linden, Zeughaus und Geschäftsstraße Friedrichstraße. Der einstige König liegt er einige hundert Meter weiter in der Gruft im Berliner Dom beigesetzt.

Auf dem gußeisernen Mahnmal vor dem Bahnhof liegen mehrere Sträuße verwelkter Schnittblumen. Das Mahnmal zeigt Kinder mit Koffern und leere Sitze eines Bahnhofs. Es bezieht sich auf die Deportationen während des Zweiten Weltkriegs, auch von diesem Bahnhof aus.

Grenzübergang

Wenige Jahre später zur Zeit der DDR, wurde Friedrichstraße zum letzten Grenzbahnhof vor der Grenze zu Westberlin. Hier entstand ein stark frequentierter Grenzübergang. Der dazugehörige Pavillon für die Grenzabfertigung blieb erhalten, der Tränenpalast, und ist heute ein kleines Museum mit einer Ausstellung zur deutsch-deutschen Teilung. Eine kleine Gruppe steht wenige Meter von dem Gebäude entfernt am Eingang vor dem Bahnhof. Ein Teil raucht, andere halten eine Flasche Alkohol in der Hand.

Ist der Bahnhof hier anders als andere? Antwort: Nö, der sei so wie der Hauptbahnhof, Alexanderplatz oder Zoologischer Garten. Ganz gewöhnliche Bahnhöfe also … Das Kulturprogramm der nahegelegenen Theater- und Kabarettbühnen sei aber schon besonders. Themenwechsel, seit wann ist das mit den kaputten Decken eigentlich schon so? Einer aus der Gruppe erinnert sich bereits nicht mehr richtig daran. Gestern habe er aber jemanden gesehen, der an den Decken einige Platten einsetzte! Kurze Zeit später habe der dann leider Feierabend gemacht. Was soll‘s, immerhin funktioniert der Bahnhof ja trotzdem.

Artikelfoto: Grenze war mal – heute ist der Bahnhof Friedrichstraße einer von Berlins Verkehrs- und Handelszentren / Foto: J.Tust

Dieser Inhalt ist nur für registrierte Nutzer sichtbar. Wenn Sie sich bereits registriert haben, melden Sie sich bitte an. Neue Nutzer können sich weiter unten registrieren.

Anmelden

drei − eins =