„So ist einfach Berlin…“

Donaustrasse

Ein Streifzug durch das Viertel um das Rathaus Neukölln…

Um das Rathaus Neukölln ist Berliner Alltag so wie sonst nirgendwo. Zwar ist das Viertel kein Kiez, lässt sich als Teil des nördlichen Neuköllns aber klar von benachbarten Vierteln und Kiezen wie dem Richardplatz unterscheiden. Es reicht von den westlichen Seitenstraßen der Karl-Marx-Straße zwischen Alfred-Scholz-Platz und Hermannplatz fließend bis zur Donaustraße und deren Seitenstraßen hinter dem Rathaus im Osten.

An der Reuterstraße Ecke Donaustraße hupen drei Auto-Fahrer. Es ist kalt, knapp unter Null Grad, der Himmel über Berlin ist bewölkt (20. Januar). Der Fahrer, der in die Donaustraße einbiegen will, wartet schließlich. Er lässt den Gegenverkehr durch und biegt dann in die Parallelstraße der Karl-Marx-Straße ein und fährt davon.

Die Donausstraße unterscheidet sich von der durchschnittlichen Berliner Wohnstraße. Gleich vor der Hausnummer 1 an der Ecke zur Reuterstraße liegt ein Stück zerrissenes Brot auf einem Verteilerkasten für Strom. Darunter drei etwa ein Meter mal ein Meter große Bilder mit glitzernder Oberfläche, ein samtverkleideter Schrank und eine Schublade. Ist das halt nur ein üblicher Eckplatz in der Straße zum Abstellen von Sperrmüll? Nach einigen Metern folgen jede Menge Flaschen und ein Röhrenfernseher mit Bildschirm gen Bordstein. Schräg gegenüber liegt in einem historischen Schulkomplex die Rixdorfer Grundschule, Hausnummern 120-127. Die Hausnummern der Straße liegen hufeisenförmig verteilt.

Die Schule ist heute die größte Grundschule der Gegend. Vorher beherbergte der Komplex mehrere andere Schulformen und Namen. Heute stellt sie über ihren Namen Bezug her zu Neuköllns Geschichte. Vor 105 Jahren hieß Neukölln noch Rixdorf, davor Rieksdorf und im hohen Mittelalter Richardsdorp. Eine von Berlins einverleibten Vorgängerstädten, Cölln, kaufte Richardsdorp. Daraus folgte später der Name Neukölln. Zudem besitzt die Schule eine der wenigen Freiflächen im Viertel, weswegen Kinder das Schulgelände selbst am späten Nachmittag aufsuchen können, um den Spielplatz zu nutzen.

Sperrmüll versus Sharing und Miteinander

Weiter die Donau-Straße gen Süden. An einem der vielen Straßenbäume lehnt ein trockener Weihnachtsbaum, danach folgen auf dem Pflasterstein rote Papierfetzen und kleine Knallgehäuse von Silvester, dann mehrere Meter weit verteilte Hundehäufchen. Vier unterschiedlich große Matratzen, ein Karton und wieder ein Röhrenfernseher. Donaustraße Nr. 7. Hier sitzt das Quartiersbüro Donaustraße Nord. Berlin versucht durch die staatliche Einrichtung, die Lebensverhältnisse in einem abgesteckten Gebiet um die Donaustraße zu verbessern. Hierfür nutzt sie in ihren Publikationen den Begriff Donaukiez, anders als viele AnwohnerInnen in der Donaustraße. Letztere sprechen in der Mehrheit der Befragten nur von Neukölln oder von Neukölln am Rathaus, wenn sie ihr direktes Wohnumfeld benennen. Vielleicht ändert sich das, wer weiß das schon.

Die zahlreichen Flyer in dem Quartiersbüro zeigen jedenfalls Richtungen auf, in die sich die umgebenden Straßenzüge entwickeln sollen. Ordentlich sortiert liegen sie in Auslagen zum Mitnehmen und tragen Titel wie: „Freie Fußgängerwege“, „Gute Regeln machen Sinn“, und: „Rad fahren nicht auf Gehwegen“. Dazu viele Verweise auf kostenlose oder kostengünstige Bildungsangebote in der Nähe. Weiter. Draußen nach einer rosa Matratze folgen vier Autoreifen direkt neben dem Eingang von Haus Nr. 10, ein ausziehbares Sofa vor der Nr. 13, ein gefüllte Plastiktüte mit Schnee drüber und ein teilweise ausgebreiteter großer Teppich nebst dazugehöriger Papprolle vor Nr. 15.

Na und? So hätte vielleicht der Berliner aus einer früheren Kiezreportage geantwortet. Der, der sich darüber geärgert hatte, dass in seinem Kiez nicht mal mehr ein Fernseher auf der Straße am Wegrand stehe. Das sei doch das, was Berlin so schön mache, hatte er erklärt: Dass man manche Regeln breche, wo es einem besseren Miteinander diene, Stichwort Teilen von nicht mehr Gebrauchtem.

„Na ja!“, wird eine Weile später ein etwa 35-jähriger, langjähriger Anwohner eine Straße weiter vor den Neuköllner Arcaden kommentieren. Der Mann mit offener Daunenjacke, gestutztem Bart und sorgfältig gestylter Haarfrisur wird den Kopf leicht nach unten senken. Dann wird er anmerken, dass nur der Staat genug Macht habe, sich um Probleme wie Sperrmüll in Straßen zu kümmern. Meinungen gehen halt auseinander. Das Scheibenbrot einige Meter weiter vor dem Haus Nr. 20 geht auch auseinander. Die meisten der hellen Scheiben liegen aufgefächert beieinander, der Rest ist in der näheren Umgebung verstreut. Neben der Rückseite des Gebäudekomplexes Rathauses Neukölln ist an der Straßenecke zur Schönstadtstraße ein kleiner Stellschrank ohne Schubfächer abgestellt. Vielleicht vom Bürgeramt nebenan? Oder auch nicht.

Das Rathaus im Zentrum

Der Mond ist längst sichtbar. Zeit zum Abbiegen in die Erkstraße Richtung Karl-Marx-Straße. Eilig laufen und fahren unzählig viele Menschen durch die Straßen um das Rathaus. Zum Einkaufen, in Gastronomien, zum Rathaus, zur U-Bahn, zu den Buslinien, zu ansässigen Vereinen, nach Hause. Aus einiger Entfernung wirkt die Bewegung der Menschenmassen ums Rathaus anders als in anderen Berliner Geschäftsstraßen wie zum Beispiel in der Schlossstraße Steglitz-Zehlendorf. In der dortigen Straßen gibt es ebenfalls wie hier hunderte kleine bis große Geschäfte. Dort fließen die Menschenmassen allerdings relativ geordnet über die Gehwege und die relativ übersichtlich verlaufende, breite Fahrbahn. Hier, in der Karl-Marx-Straße, die einst Berliner Straße hieß, gehen die Bewegungen dynamisch in unterschiedlichste Richtungen. Hinzu kommen eine relativ enge Fahrbahn, ein enger U-Bahnhof und enge Gehwege für die vielen BerlinerInnen, die den Knotenpunkt täglich passieren. Das Ergebnis: ein lebendiges Straßenbild, wie es in Berlin sonst kaum sichtbar ist. Dazu das allgegenwärtige Neuköllner Rathaus mit einem 65 Meter hohen Rathausturm und mehreren großen Uhren, die selbst bei Dunkelheit durch Leuchtziffern die Uhrzeit anzeigen.

Gibt es einen Kiez um das Rathaus? Frage an die Gastwirtin in der Raucher-Kneipe schräg gegenüber des Rathauses? Nö, so ihre Antwort. Das Rathaus stehe dort halt rum, in Neuköllns Zentrum. Neuköllns Kieze im Sinne lebensweltlich kleinster Stadtgemeinschaften, lägen mehr dezentral.

Der junge, bereits beschriebene 35-jährige Berliner presst seine kalten Finger in seine Jeanstasche. „So ist einfach Berlin.“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Eine Metropole. Eine Metropole, also mehr als eine Großstadt? Ja, er sei sich aber sicher, dass in Berlin überall so viel los sei wie hier am Rathaus. „Ich muss los.“, sagt er dann auch, verabschiedet sich und verschwindet in den Menschenmassen, die aus dem Eingang der U7 raus auf die Karl-Marx-Straße strömen.

(Quirlig wie sonst nirgendwo – Verkehr am Rathaus Neukölln – Foto: © J.Tust)

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