Die Studie besagt, viele Menschen sind unsinnig versichert. Und zwar nicht unbedingt in dem Sinn, dass sie über zu viele oder zu wenige Policen verfügen, sondern weil sie sich gegen die falschen Risiken abgesichert haben: elementare wurden vernachlässigt, weniger entscheidende dagegen – möglicherweise sogar mehrfach – abgedeckt.
Die individuellen Lebensrisiken des Versicherten spiegeln sich dann nicht in seinen Versicherungen wider. Das kann im schlimmsten Fall existenzbedrohende Auswirkungen nach sich ziehen. Versicherungsberater stellen solche Problemfälle immer wieder fest, wenn sie eine Bestandsaufnahme bei (Neu-)Kunden vornehmen.
Die Ursachen des Phänomens „falsch versichert“ sind häufig fehlerhafte Risikowahrnehmung, -abschätzung und -bewertung seitens des Versicherten. Dies veranlasste die Studiengesellschaft für verbrauchergerechtes Versichern e.V. (Goslar Institut) im Auftrag der HUK-COBURG dazu, diese Zusammenhänge eigens in einer Studie mit dem Titel „Todsicher. Von der Unfähigkeit zur Risikoabschätzung“ untersuchen zu lassen. Als Leiter dieses „Forschungsprojekts zur Fehlwahrnehmung von Alltagsrisiken in der Öffentlichkeit“ konnten die renommierten Wissenschaftler Prof. Dr. Nadine Gatzert vom Lehrstuhl für Versicherungswirtschaft und Risikomanagement an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Prof. Horst Müller-Peters vom Institut für Versicherungswesen der Technischen Hochschule Köln gewonnen werden.
Ihre Studie, die jetzt beim aktuellen Goslar Diskurs des Goslar Instituts in Köln erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, macht deutlich, warum uns alltägliche Risiken wie etwa die Fahrt zum Arbeitsplatz weniger Sorgen bereiten als eine Flugreise in den Auslandsurlaub. Dabei ist die statistische Wahrscheinlichkeit, zu Schaden zu kommen, in der ersten Situation, die wir jeden Tag aufs Neue durchleben, sehr viel höher als in der zweiten. Woran liegt diese Fehleinschätzung? Und wie wirkt sich dieses Abweichen von individueller Risikowahrnehmung und tatsächlicher Eintrittswahrscheinlichkeit von Alltagsrisiken auf unser Verständnis von Versicherungen aus?
Wie Prof. Müller-Peters beim Goslar Diskurs erläuterte, spielen uns unsere kognitiven Fähigkeiten, mit denen wir Sinnesreize (Vorgänge) wahrnehmen und verarbeiten, dabei oft schlicht einen Streich. Dazu kommt es insbesondere, wenn komplexe Sachverhalte zu entscheiden sind. Denn unsere kognitiven Fähigkeiten, also Wahrnehmung, Erinnern, Denken und auch der Gebrauch der Sprache, sind nicht so sehr auf langsames, analytisches Denken ausgelegt, sondern eher auf intuitives, schnelles Denken bzw. Entscheiden. „Das ist im Prinzip auch gut so, denn sonst wären wir nicht in der Lage, unseren Alltag mit seinen vielfältigen kleinen Entscheidungssituationen zu meistern“, stellte Prof. Müller-Peters in Köln fest.
So kommt es allerdings auch, dass die subjektive Risikowahrnehmung von Menschen und die objektive Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefahr Realität wird, oft mehr oder weniger stark voneinander abweichen. Zudem führen unsere vereinfachten Denk- und Entscheidungsmuster häufig zu vorschnellen Urteilen bis zu krassen Fehleinschätzungen. Dazu trägt ebenfalls bei, dass unsere Wahrnehmung sehr leicht durch externe Faktoren, wie Medienberichte, oder auch persönliche Erfahrungen beeinflusst wird, wie Prof. Müller-Peters verdeutlichte.
Die Folgen solcher „Fehlleistungen“ des Gehirns bestehen häufig ebenfalls darin, dass wir uns gerne selbst überschätzen und vertraute Ereignisse, die riskant sein können, unterschätzen. So geschieht es, dass die Gefahr von Flugreisen in Relation deutlich höher eingestuft wird als die erheblich größeren Risiken des Straßenverkehrs, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind. Oder die Autobahn wird als riskanter wahrgenommen als die ungleich höhere Gefährdung auf Landstraßen. Oder kritische Krankheits- bzw. Pflegerisiken werden unterschätzt, nach dem Motto „mich wird es schon nicht treffen“. Aber insbesondere auch die Möglichkeit, in eine rechtliche Auseinandersetzung verwickelt zu werden, wird nach Einschätzung von Prof. Müller-Peters oftmals „dramatisch“ vernachlässigt. „Wir laufen in manche Risiken ziemlich blauäugig hinein“, so das Resümee seiner Untersuchung.
Auf den Versicherungsalltag übertragen bedeuten diese Erkenntnisse über unsere kognitiven „Aussetzer“: Viel zu häufig werden relativ nebensächliche private Risiken abgesichert, während echte Risiken mit erheblich höherer Eintrittswahrscheinlichkeit und größerem Gefährdungspotenzial versicherungsseitig vernachlässigt werden. Zu den vielfach überschätzten Risiken zählen laut der Studie des Goslar Instituts unter anderem Terroranschläge, Gewaltverbrechen, Computerkriminalität oder eben tödliche Verkehrsunfälle. Unterschätzt wird dagegen zum Beispiel das Risiko von Sachschäden mit einem großen Folgepotenzial, wie ein Brand- oder Leitungswasserschaden, die Häufigkeit von Rechtsfällen, sowohl bei zivilen Rechtsstreitigkeiten wie auch die Möglichkeit, unter einen Straftatverdacht zu geraten, sowie das persönliche Risiko, ernsthaft zu erkranken, berufsunfähig bzw. ein Pflegefall zu werden.
(Artikelfoto: Golardiskurs; Foto: P. Guette)
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