Meckern wir Berliner tatsächlich so viel?

Am Wochenende hatte ich Besuch aus Leipzig. Nach Berlin meine zweite Lieblingsstadt. Nach Hamburg quasi.

Eine Kolumne von www.beta2version.de

Wir spazierten Richtung Leo im Wedding und im Gespräch meinte meine Begleitung, dass wir Berliner ja doch recht kaltschnäuzig und unfreundlich seien. Vielleicht auch etwas arrogant, weil wir uns auf unser Großstadt-Dasein doch recht viel einbildeten. Was zehn Minuten auf der Müllerstraße so anrichten können, dachte ich bei mir. Ein Glück waren wir nur im Wedding unterwegs, wer weiß, was für Berlin-Klischees mein Besuch gefunden hätte, wären wir in Richtung Kollwitzplatz oder in den Weserkiez gegangen.

Ja, wir Berliner meckern viel und oft. Wir sind arm und sexy zugleich, trinken den ganzen Tag nur veganen Chai Latte vor unseren Laptops in hippen Cafés und reden viel über unsere laufenden Projekte, über die wir leider noch nicht viel sagen können. Wir tragen Schwarz als wäre es Gucci und feiern eigentlich jede Nacht entweder auf Eröffnungen von Pop-up Stores, zu denen wir aus Prinzip schon zu spät kommen, oder in dunklen Kellerclubs. Zwischen Gin-Tasting und Vabali-Spa-Aufenthalten noch schnell eine Mate reindrücken und kurz bei Tinder das nächste Match klarmachen. Das ganze noch für Instagram-Stories festhalten und dabei eine trendy Clean Eating Good Life Bowl verdrücken. Wir kennen uns aus mit Winterdepressionen, weil Berliner Winter hart sind. Dann blaffen wir gerne auch mal rum, wenn die eigene Comfort Zone in der U8 mal wieder bedenklich gefährdet ist. Wir verstecken uns am liebsten hinter unseren Macbooks und tragen im Winter Hochwasserhosen mit Bündchen. Mützen sind erst dann funktional, wenn sie nicht über die Ohren gehen und wer noch nie im Berghain war, kann nicht mitreden.
Während wir so durch den Wedding stiefelten, gekleidet in einem Drei-Schichten-Outfit, mein Bezirk sich mal wieder von seiner besten Seite zeigte, fragte ich mich, ob wir Berliner tatsächlich so unzufrieden sind und tatsächlich auf Außenstehende so abgehoben wirken. Ich trage wirklich oft und viel Schwarz, mag Gin ganz gerne und hänge manchmal ziemlich lange vor Instagram-Stories. Meine Comfort Zone ist mir heilig und in der U8 erst recht. Wenn der Schuh drückt, blaff ich gerne mal rum wie ein Rohrspatz und an manchen Tagen finde ich mich sogar sexy. Wenn wir aber mal ehrlich sind, trifft das sicherlich auf viele von uns zu – auch auf Nicht-Berliner. Vielleicht mag der Münchner weniger Schwarz, dafür mehr Gold. Und der Hamburger größere Mützen als wir. Und während ich so in Gedanken versunken war, verschwand mein Besuch im Späti, kam mit zwei Mate-Flaschen zurück und fragte mich, ob er ein Foto für Instagram machen könne. Ich lächelte in mich hinein, blickte verstohlen an sein Bein hinunter: Keine Hochwasser-Bündchenhosen. Na, immerhin etwas.

(Artikelfoto: © pixabay.com / CC0 Public Domain /cocoparisienne)

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