So lebt es sich an einem ehemaligen Berliner Fluss – ein Streifzug durch den Wassertorkiez in Friedrichshain-Kreuzberg
Der Kiez um den Wassertorplatz liegt im westlichen Teil von Friedrichshain-Kreuzberg. Die Reichenberger Straße begrenzt ihn nordöstlich. Östlich begrenzen ihn Kottbusser Tor und Admiralstraße, südlich der Urbanhafen, westlich die Lobeckstraße und Prinzenstraße.
Zwei runde Grillroste stecken draußen hinter einem Häuschen zwischen Erde und Laub, halb verdeckt. Jemand wird sie dort hinter dem zwei Meter hohen Zaun einer Jugendverkehrsschule gen Sommer-Ende hingelegt und vielleicht vergessen haben. Ruhig ist es an dem frühen Montagnachmittag auf dem Wassertorplatz (26. Januar). Die Temperaturen liegen knapp über dem Gefrierpunkt, der Himmel ist bewölkt und kaum jemand ist auf der Straße.
Das Häuschen der Jugendverkehrsschule auf der Platzmitte sieht fast so aus, als ob es zu der Jahreszeit geschlossen hat. Ein warmes Licht scheint allerdings von einem Fenster auf die Innenseite des Geländes. Ein schlanker Mann um die 50 Jahre tritt aus dem Mitarbeiterstübchen der Einrichtung heraus. Herr Zabel wird er genannt. Herr Zabel ist in der Jugendverkehrsschule Oase ein Handwerker für alles.
Nicht nur hat er das Mitarbeiterhäuschen mit Wärmeisolierung und Küche ausgebaut, repariert Geräte und Übungsfahrräder für die vorbeikommenden Schulgruppen. Er repariert auch mal Fahrräder von AnwohnerInnen, die ihn kennen. Läuft er durch den Kiez, werde er von vielen gegrüßt. Jetzt steht er vor dem Holzhäuschen in der Kälte und bewirbt den Verkehrsgarten als anmietbaren Ort für Kindergeburtstage. Im Sommer sei es auf dem Wassertorplatz sehr schön, erzählt er.
Leben am ehemaligen Fluß
Wenn die vielen großen und kleine Pflanzen der länglichen Parkanlage blühen, sei die Luft um einiges besser als in den umliegenden Straßen ohne Grün. Eine Bahn der U-Bahn-Linie 1 fährt laut quietschend über die Genthiner Straße heran, schlängelt sich über das kurvige Hochgleisbett über dem Wassertorplatz und braust gen Skalitzer Straße weg hin zum Bahnhof Kottbusser Tor. Die Hochbahn sei nur laut, wenn der Wind ungünstig stehe und der Park mangels Grün im Winter weniger Schall isoliere, so Herr Zabel.
Er blickt über den Verkehrsgarten. Früher im 19. Jahrhundert floss hier der Luisenstädtische Kanal entlang. Der Kanal verband den früher aktiv genutzten Urbanhafen am südlichen Ende des Kiezes über das Engelbecken am nördlichen Ende des Kiezes mit der Spree. Der privatisierte Kanal bot ein Abkürzung für Transporte übers Wasser nach Berlin. Gegen Bezahlung durfte das Wassertor an Berlins damaliger Stadtmauer passiert werden.
Als Berlins Stadtmauer dann allerdings gegen Ende des 19. Jahrhunderts abgebaut wurde, wurde der Kanal für Transporte zu teuer und unpraktisch. Er moderte vor sich hin. Letztendlich wurde er zugeschüttet und ihm Rahmen einer Bauausstellung kunstvoll in einen länglichen Park mit vielen Bäumen umgewandelt. Eine symbolische Fußgängerbrücke mit Mulde und Flusssteinen im südlichen Bereich des Platzes erinnert an den Kanal.
Auf der nördlichen Hälfte des Wassertorplatzes stehen heute Pavillons, Verkehrsschilder für Kinder und Ampeln an einem kleinen künstlichen Straßennetz, auf dem Kinder im Radfahren geschult werden. Schräg gegenüber hüpft eine mittelgroße Ratte ohne nach links und rechts zu schauen über das Sträßchen vor einem der Pavillons. Ja, Ratten seien ein Problem am Wassertorplatz, erläutert Herr Zabel.
Streben nach mehr Lebensstandard
Da viele BesucherInnen des Platzes Müll liegenlassen, würden auch die regelmäßig vorbeischauenden Kammerjäger vom Gesundheitsamt nicht wirklich helfen. Die Ratten kommen nach einer Weile wieder. Die hüpfende Ratte erkennt er sogar schon wieder: „Die humpelt!“, und wohne in einem Nest unter dem Pavillon. Herr Zabel zeigt noch den vertäfelten Schulungsraum mit dem Regal voller Fahrradhelme und einem Schuppen mit Fahrrädern für die Schulgruppen, dann verabschiedet er sich und geht wieder in das warme Mitarbeiter-Stübchen.
Einige hundert Meter entfernt in der Wassertorstraße stampfen vier Bauarbeiter mit einer lärmintensiven Pressmaschine Sand auf einen viereckig aufgerissenen Straßenboden. In grellgelber Schutzkleidung sind sie einen auffallender Kontrast zum grauen Wetter. Auch zu dem von außen eher unscheinbaren Mehrgenerationenhaus nebenan. Anders als in anderen Bezirken, bietet das Haus Freizeitprogramm nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern für alle Altersgruppen. Hier finden neben Vereinstreffen, Feiern und Initiativen zum Verbessern der Lebenssituation in dem Kiez alle möglichen Treffen statt, für die es einen Ort braucht.
Mit Distanz betrachtet, wirkt es als eine von vielen sozialpädagogischen Maßnahmen, die die Probleme im Kiez um den Wassertorplatz lösen sollen. Der Kiez gehört zu jenen Stadtteilen, für die Berlin als Bundesland ein Quartiersmanagement geschaffen hat. Über die Einrichtung mit Büro, angestellten SozialarbeiterInnen und Geld für Projekte soll die Lebenssituation vor Ort verbessert werden. Dass das nötig ist, zeigen statistische Analysen. Laut Quartiersmanagement bezieht mehr als die Hälfte der Bevölkerung um den Wassertorplatz Sozialhilfe. Die Kinderarmut ist für Berlin vergleichsweise sehr hoch. Die Arbeitslosenquote ist mit 12 Prozent doppelt so hoch wie der Berliner Durchschnitt.
Bunt statt Grau
Einen Steinwurf weiter neben der Volkshochschule Kreuzberg sind Maßnahmen für mehr Lebensstandard in dem Kiez sichtbar: Unten an den sonst grauen Fassaden der Plattenbauten sind bunte kunstvolle Graffiti an die Säulen eines Straßendurchgangs gesprüht. Motive wie Delfin, Tintenfisch, Taucher, aber auch die Siegessäule, der Turm des Roten Rathauses und andere begleiten AnwohnerInnen im Alltag. Einmal pro Jahr findet jetzt in dem Kiez neben der üblichen 1.-Mai-Demonstration, die den Kiez passiert, ein Herbstfest statt.
Drei Jugendliche sitzen mit Smartphones in der Hand und geöffneten Jacken auf einer Bank an der Senke des Parks, eine von ihnen mit intensivem Make-Up. „Man kennt sich hier im Viertel“, sagt eine andere. Zustimmendes Nicken. Auch wenn dies erst auf den zweiten Blick sichtbar werde: viele Familien leben hier, teilweise sogar Großfamilien mit mehr als zehn Menschen. Der Winter verdecke die Lebendigkeit im Kiez. Im Sommer seien die Parkflächen voll. Ein Smartphone klingelt. Nun ist es Zeit für eine Verabredung, auf die die drei gewartet haben. Ciao.
Weitere Informationen:
http://www.oase.buf-berlin.de/oase_home.html
http://www.quartiersmanagement-wassertorplatz.de/
(Artikelfoto: © J.Tust)
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