Hera Lind: Der neue Tatsachenroman über die Ausbeutung von Pflegekindern

Fotoshooting Hera Lind / Salzburg (Österreich) am 07. März 2022 / Fotovermerk: Agentur Schneider-Press/Erwin Schneider

Im Namen der Barmherzigkeit nimmt die steirische Bauernfamilie Kellerknecht jedes Jahr ein Pflegekind auf. So kommt die knapp dreijährige Steffi in den Siebzigerjahren auf den abgelegenen Bauernhof. Zwischen den anderen Pflegekindern lernt sie schnell, dass sie für ihre kargen Mahlzeiten und das Etagenbett in der Dachkammer hart schuften muss, und zwar barfuß. Ab ihrem neunten Lebensjahr wird Steffi vom Bauern regelmäßig missbraucht. Mit fünfzehn ist sie schwanger und wird in ein Kloster abgeschoben, wo sich barmherzige Nonnen um ledige junge Mütter kümmern. Steffi will ihrem Kind eine bessere Kindheit bieten und macht sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter. Doch diese hat sie direkt nach der Geburt verstoßen und verstößt sie wieder.
Hera Lind gibt mit ihrer Geschichte über Steffi stellvertretend Tausenden Kindern eine Stimme. Denn Steffis Schicksal ist kein Einzelfall.

Systematisch wurden in Deutschland, Österreich und Schweiz seit dem 17. Jahrhundert bis in die 1980er Jahre Kinder verarmter Eltern oder Pflegekinder aus Kinderheimen in der Landwirtschaft auf Bauernhöfen als Arbeitskraft eingesetzt. Schätzungseise jährlich fünf- bis sechstausend 5- bis 14-jährige Kinder schufteten unter menschenunwürdigen Verhältnissen auf Höfen in der Fremde. Sie wurden von der Pflegefamilie ausgebeutet, sozial ausgegrenzt, bekamen nur karge Mahlzeiten, schliefen in Kellern oder Scheunen, wurden misshandelt und sexuell missbraucht. Bekannt war die brutale Kindheit im kleinbäuerlichen Milieu schon lange. Doch Behörden, Politik und Justiz sahen weg. Erst seit vierzig Jahren werden die Pflegekinder angehört. Doch bis heute steht eine grundlegende Aufarbeitung ihrer Schicksale aus.

Hera Lind im Interview zum Buch

Lokalnachrichten: Erstmals schreiben Sie in einem Tatsachenroman über sexuellen Missbrauch. War das bis dato ein zu heikles Thema für Sie?

Hera Lind: Allerdings. An „sexuellen Missbrauch“ habe ich mich bisher nie herangewagt. Dabei wird mir das Thema so erschreckend häufig von meinen Lesern für einen Tatsachenroman angeboten! Doch als Grundlage für einen Roman, der nicht zuletzt auch der Unterhaltung dient, sah ich dieses sensible Thema nie. Natürlich auch aus Respekt vor den Opfern. Ich dachte, dass es eher in die geschützten vier Wände einer guten Therapeutin oder Therapeuten gehöre.

Lokalnachrichten: Was hat Sie umgestimmt, doch Steffis Geschichte als Tatsachenroman zu veröffentlichen?

Hera Lind: Eines Tages kam die Psychotherapeutin und Ärztin von Steffi, die sich auch nach ihrer Pensionierung noch um Steffi kümmert, zu mir in die Schreibwerkstatt. Sie wollte ein Buch über das erschütternde Schicksal von Steffi schreiben. Aus verschiedenen Gründen haben wir uns entschieden, dass ich das Buch umsetzen soll. Und auch mein Verlag war der Meinung, dass das Thema Missbrauch unbedingt eine große Öffentlichkeit erreichen sollte. Gerade jetzt, wo die lange verschwiegenen Missbrauchsfälle von Pflegekindern endlich an die Oberfläche kommen. Aus dieser Warte hatte ich das noch nicht gesehen.

Lokalnachrichten: Ihr Roman ist von suggestiver Intensivität, weil Sie tief in Steffis hartes Schicksal eingetaucht sind. Hat Steffis Geschichte Sie an Ihre Grenzen gebracht?

Hera Lind: Absolut. Ich musste immer wieder zwischendurch aufhören und an die frische Luft. Ich bin Mutter und Großmutter und kann es nicht begreifen, wie man mit so einem kleinen hilflosen Menschlein so brutal und herzlos umgehen kann, und das alles auch noch „im Namen der Barmherzigkeit“. Die Pflegefamilie ließ sich ja von der Kirche als Wohltäterin feiern.

Lokalnachrichten: Steffis Kindheit als ausgebeutete, missbrauchte Arbeitskraft auf einem Bauernhof ist kein Einzelfall. Tausende Kinder hatten Jahrhunderte lang bis in die 80er Jahres des 21. Jahrhunderts das gleiche schreckliche Los. Hoffen Sie, dass Ihr Roman etwas für die Betroffenen bewirkt?

Hera Lind: Alle meine Tatsachenromane decken ja Tabus auf, und aus den Leserzuschriften kann ich ersehen, dass sie aufrütteln, erschüttern, aufklären. „Das habe ich nicht gewusst“, „jetzt mache ich mir zum ersten Mal Gedanken darüber“ „jetzt verstehe ich meine Mutter/Großmutter viel besser“ sind Rückmeldungen, die mich in meiner Arbeit bestärken und motivieren, weiterhin nach solchen Stoffen zu suchen.

Lokalnachrichten: Frau Lind, wir danken für das Gespräch.

Über die Autorin

Hera Lind studierte Germanistik, Musik und Theologie und war klassische Sängerin, bevor sie mit Romanen wie Das Superweib, Der gemietete Mann und Die Champagner Diät sensationellen Erfolg hatte. Mit ihren Tatsachenromanen, die alle auf wahren Geschichten beruhen, erobert Hera Lind immer wieder verlässlich die vordersten Plätze der SPIEGEL-Bestsellerliste. Hera Lind lebt mit ihrer Familie in Salzburg, wo sie auch Schreibseminare anbietet.

Verlosung

Die Berliner Lokalnachrichten verlosen 3 Exemplare des Buches. Zur Teilnahme geben Sie bitte im Textfeld das Stichwort „Barmherzigkeit“ an. Damit das Textfeld angezeigt wird, müssen Sie angemeldet sein. Eine Teilnahme per E-Mail ist nicht möglich. Einsendeschluss ist der 25. Oktober 2024.

Rechtsweg und Auszahlung sind ausgeschlossen. Die Teilnehmer müssen volljährig sein. Die Teilnehmerdaten werden ausschließlich für die Durchführung der Verlosung verwendet. Bildrechte: ©Agentur Schneider-Press/Erwin Schneider

Dieser Inhalt ist nur für registrierte Nutzer sichtbar. Wenn Sie sich bereits registriert haben, melden Sie sich bitte an. Neue Nutzer können sich weiter unten registrieren.

Anmelden

achtzehn + 12 =