Diagnose Lipödem – und nun? Viele Betroffene fühlen sich mit ihren Fragen, Sorgen und Ängsten zunächst allein gelassen. Das Lipödem ist eine chronische Erkrankung, die unheilbar ist: Lernen, damit umzugehen, hat daher höchste Priorität. Dafür braucht es Wissen, Erfahrung und das richtige Mindset – all das können vor allem Betroffene einander geben. Mit der Diagnose Lipödem hat sich auch vor über zehn Jahren das Leben von Caroline Sprott geändert. Seitdem nutzt die „Power Sprotte“, wie sie sich selbst nennt, ihre jahrelange Erfahrung, um anderen Betroffenen Mut zu machen und über die Erkrankung aufzuklären: als Vortragsrednerin, Bloggerin, Markenbotschafterin des Herstellers von Medizinprodukten medi und seit Oktober 2023 auch als Autorin. In ihrem ersten Buch „Diagnose Lipödem? Du bist nicht allein!“ führt sie Betroffene behutsam und auf Augenhöhe durch den Informationsdschungel der Lymphologie.
Liebe Frau Sprott, weshalb haben Sie sich entschieden, einen Ratgeber für Lipödem-Betroffene zu schreiben anstatt eines Buches über Ihre persönliche Krankheitsgeschichte?
„Zum einen stelle ich mich selbst ungern in den Vordergrund, zum anderen habe ich nicht, wie viele Betroffene, einen jahrelangen Leidensweg mit Fehldiagnosen hinter mir. Mit Anfang 20 wurden zunächst meine Beine, dann die Arme ungewöhnlich dick und ich hatte starke Schmerzen. In einer Gefäßklinik hat die Phlebologin sofort die Diagnose Lipödem gestellt. Ein Glücksfall wie ich heute weiß, denn in vielen Fällen wird das Lipödem nicht erkannt und die Patient:innen als adipös stigmatisiert. Genau deshalb ist es mir ein Anliegen, mein Wissen weiterzugeben, Betroffene miteinander sowie mit Fachpersonal zu vernetzen und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Mein Einsatz, meine Mission und meine Arbeit sollen im Fokus stehen – nicht ich! Die Prämisse für mein Buch war, Betroffenen den größten Mehrwert zu bieten, sodass sie sich nach der Lektüre gestärkt fühlen für ein glücklicheres Leben mit mehr Selbstliebe und Achtsamkeit. Und diese Stärke und Selbstwahrnehmung an andere Betroffene weitergeben können. Aus Patienten sollen echte Flachstrick-Helden werden.“
Weshalb haben Sie sich entschieden, ein Buch zu schreiben? Wie ist die Idee dazu entstanden?
„Ich hatte schon seit geraumer Zeit den Wunsch, ein Buch zu veröffentlichen, aber nie den richtigen Zeitpunkt dafür gefunden – andere Aktivitäten und Projekte haben immer mehr Raum eingenommen. Im Frühjahr 2022 hat dann der Kosmos Verlag angefragt, ob ich nicht Lust hätte, ein Buch zu schreiben. Eine Mitarbeiterin des Verlages, die selbst Lipödem-Patientin ist und mir auf Social Media folgt, hatte mich als Autorin vorgeschlagen. Von Anfang an war klar, dass es ein Buch werden sollte, das es so noch nicht am Markt gibt. Kein medizinisches Fachbuch, sondern ein Ratgeber auf Augenhöhe für Lipödem-Betroffene. Wissen über eine Erkrankung kann sich jede:r aneignen, aber das Buch sollte jede:n mit Lipödem emotional auffangen und begleiten. Ich wollte ein Buch schreiben mit all den Informationen und Erfahrungen, die ich mir nach meiner Diagnosestellung gewünscht hätte.“
Mit Ärztin, Chirurgin und Lipödem-Forscherin Frau Dr. Anna-Theresa Lipp haben Sie sich als Co-Autorin trotzdem fachliche Unterstützung geholt. Warum?
„Dr. Anna-Theresa Lipp ist selbst Betroffene und damit eine unersetzliche Instanz in der Behandlung des Lipödems. Es war mir wichtig, eine Expertin zu Wort kommen zu lassen, die medizinische Hintergründe sowie Zusammenhänge verständlich erklärt und als Sprachrohr zwischen Patient:in und Fachkraft fungiert. Wir kennen uns schon seit vielen Jahren, haben eine gute Vertrauensbasis und schätzen uns sehr. Deswegen kam für mich auch niemand anders als sie in Frage.
Wie haben Sie den Schreibprozess erlebt?
„Das Konzept und der Aufbau des Buches waren schnell entwickelt, aber dann galt es, über einen längeren Zeitraum konzentriert daran zu arbeiten. Wenn ich ehrlich bin, habe ich das Projekt anfangs unterschätzt und mich nicht konsequent an meine Schreibzeiten gehalten, da ich auch anderweitig beruflich eingebunden war. Als Unternehmerin war ich für zwei Firmen verantwortlich: den Shop ,Power Sprotte‘ online und mit Boutique in Augsburg und das Mode-Label ,Luna Largo‘, das ich bis Oktober 2023 geführt habe. Im Sommer bin ich zudem jedes Wochenende mit meiner Band auf Mittelaltermärkten in ganz Deutschland aufgetreten. Erst gegen Ende 2022 habe ich realisiert, wie wenig Zeit mir noch bis zur Abgabe am 1. März 2023 bleibt. Ich musste in rund zwei Monaten den Großteil des Buches schreiben – eine für mich sehr anstrengende und emotional intensive Zeit, da ich auch privat einen Schicksalsschlag verarbeiten musste. Rückblickend weiß ich nicht, woher ich die mentale Kraft und die Disziplin genommen habe.“
Wie haben Ihre Familie, Freunde und Follower reagiert, als Sie zum ersten Mal von Ihrem Buch berichtet haben?
„Für die meisten war das Buchprojekt nur der nächste logische Schritt in meiner beruflichen Entwicklung. Alle sind stolz auf mich und haben sich gefreut – auch von der Community habe ich viel Zuspruch und Applaus bekommen. Mein persönlicher Meilenstein war, als Buchcover sowie Titel standen und der Vorverkauf überdurchschnittlich gut anlief – und natürlich als mein Buch Ende Oktober erschienen ist. Erst jetzt realisiere ich langsam das Ausmaß! Das mediale Interesse steigt, ich habe erste Interviews gegeben und Lesereisen stehen an, auf die ich mich sehr freue. Dieser direkte Kontakt und der gegenseitige Austausch mit Betroffenen sind für mich so wertvoll. Niemand sollte mit seinen Fragen, Sorgen und Unsicherheiten allein sein. Und wenn mein Buch nur ein wenig dazu beiträgt, habe ich viel gewonnen.“
Im Buch sprechen Sie auch sensible Themen an wie „Lipödem in der Partnerschaft“ oder „Dessous und medizinische Kompression“. Spiegeln Ihnen andere Betroffene, dass sie Unsicherheiten damit haben?
„Ich denke es sind zwei Seiten der Medaille: Einerseits haben viele von uns ein verzerrtes und verunsichertes Selbstbild – es fällt uns schwer, die eigene Attraktivität zu erkennen und zuzulassen. Diese Unsicherheit zeigt sich auch bei der Partnersuche oder in einer Partnerschaft: ,Soll ich beim ersten Date meine Erkrankung ansprechen?‘ oder ,Findet mich mein Partner attraktiv?‘ Das Lipödem ist so präsent im Leben von Betroffenen, dass wir das Gefühl haben, uns ständig erklären und rechtfertigen zu müssen. Aber die Erkrankung darf nicht zum Hauptthema des Alltags werden, sie definiert uns nicht als Person! Weshalb konzentrieren wir uns nicht auf all die wunderbaren Eigenschaften, die uns als Mensch ausmachen? Kommt es zu Intimität, spielt eine medizinische Kompressionsstrumpfhose keine Rolle – dann zählen echte, tiefe Verbundenheit, Anziehung und Persönlichkeit. Andererseits sprechen viele Betroffene nicht offen darüber, was die Erkrankung mit ihnen, mit ihrer Beziehung oder dem Umfeld macht – beziehungsweise thematisieren sie es nicht genug im Austausch mit anderen. Deshalb war es mir eine Herzensangelegenheit, im Buch all diese Themen zu sammeln und dazu anzuregen, sich diese Fragen bewusst zu stellen und in den Dialog zu gehen.“
Haben Sie das Buch mit der Intention geschrieben, dass es auch anderen ein tieferes Verständnis für die Welt von Lipödem-Betroffenen eröffnet?
„Natürlich richtet sich das Buch in erster Linie an Lipödem-Betroffene. Aber es bietet auch für Außenstehende Einblicke in eine Welt, die ihnen bisher fremd war. Das Buch schafft ein Grundverständnis für die Probleme, Ängste und Sorgen von Lipödem-Betroffenen. Und es kann dabei helfen, bestimmte Themen zum Beispiel in einer Partnerschaft offen und sensibel anzusprechen.“
Welches Thema oder Kapitel liegt Ihnen besonders am Herzen?
„Ich wollte unbedingt mit falschen Vorstellungen und Mythen zum Thema Essen aufräumen. Für viele Lipödem-Betroffene ist Ernährung mehr Feind denn Freund. Dabei fühlen wir uns fitter, können besser schlafen und haben über den Tag verteilt mehr Energie, wenn wir uns gesund ernähren. Bei einer chronischen Erkrankung wie dem Lipödem hat die Alltagskost allerdings eine noch wichtigere Bedeutung für das tägliche Leben der Betroffenen. Sie kann den Krankheitsverlauf beeinflussen – positiv wie negativ. Denn die Lebensmittel, die wir konsumieren, können die körpereigenen Entzündungsprozesse und damit die Symptome beeinflussen. Es geht nicht darum, vermeintlichen Schönheitsidealen nachzujagen, sondern das Gewicht zu halten, gegebenenfalls schonend zu reduzieren und gesund zu essen. Eine ,richtige‘ wissenschaftlich belegte Diät gibt es bei Lipödem nicht – jede:r muss seine:ihre persönlich richtige Ernährung finden. Dabei können qualifizierte Diätassistenten, Oecotrophologen oder Ernährungswissenschaftler helfen.“
Wie ernähren Sie sich im Alltag?
„Zu empfehlen sind hochwertige, frische, regionale und saisonale Lebensmittel. Vegan oder vegetarisch zu essen, kann sinnvoll sein, aber wichtiger ist eine gezielte entzündungshemmende Ernährung mit einer ausgewogenen Kalorienzufuhr, um nachhaltige Erfolge zu erzielen. Ich selbst verzichte weitestgehend auf Alkohol, koche viele meiner Mahlzeiten vor und esse, was mir schmeckt. Es geht darum, die Ernährung nachhaltig umzustellen und bewusst zu essen. Wir sollten unseren Körper annehmen, ihn für seine Stärke lieben und dankbar sein, dass er uns durchs Leben trägt. Wir dürfen unser Leben nicht von der Erkrankung bestimmen lassen! Eine positive Einstellung und das richtige Mindset sind ebenso wichtig wie regelmäßige Bewegung, medizinische Kompression und gegebenenfalls manuelle Lymphdrainage.“
Seit Ihrer Diagnose kombinieren Sie Ihre medizinische Kompressionsversorgung modisch in Ihren Alltag und kreieren schicke, fröhliche Outfits. War das für Sie die sprichwörtliche Flucht nach vorne?
„Meine Outfits sind seit jeher ein Spiegel meiner Seele. Je schlechter es mir ging, desto unauffälliger zog ich mich an. Hatte ich allerdings ein tolles Outfit mit meiner medizinischen Kompressionsversorgung zusammengestellt, hat sich das positiv auf meine Psyche und meine Stimmung ausgewirkt. Das ist auch heute noch so. Mich modisch schick zu kleiden, war und ist unter anderem meine Art der Therapie – das pusht mein Selbstbewusstsein ungemein. Nicht umsonst nenne ich meine medizinische Kompression liebevoll meine Rüstung. Wir müssen uns nicht verstecken, nur weil wir an einer chronischen Krankheit leiden. Die Auswahl an medizinischer Kompression ist heutzutage so vielseitig – Patienten können ihr individuelles Outfit nach Lust und Laune wählen. Beispielsweise gibt es mit Flieder und Salbeigrün zwei neue Trendfarben von medi, die sich mit jedem Alltagsoutfit gut kombinieren lassen. Durch die gedeckte, ruhige Optik passen dazu viele pastellige Töne aber auch knallige Farben. Und mit der neuen seitlichen Naht beim mediven cosy sieht die medizinische Kompressionsstrumpfhose aus wie eine Leggings. Zudem ist sie angenehmer in der Kniekehle zu tragen.“
Welche Fashion-Tipps können Sie Lipödem-Betroffenen geben, die noch nicht ganz so modemutig wie Sie sind?
„Erste Regel: Niemand sollte sich verkleidet fühlen. Kleidung sollte immer Ausdruck der eigenen Persönlichkeit sein. Unsere Therapie mit medizinischer Kompression muss nicht trist und eintönig sein. Wer farblich etwas zurückhaltender ist, kann beispielsweise zu Dunkelblau greifen – es steht jedem:jeder und lässt sich mit fast allem kombinieren: Monochrom, mit Beige- oder Brauntönen oder mit expressiven Highlight-Farben wie Pink oder Rot. Ich selbst setze zudem für einen abwechslungsreichen Look auf einen Mix von unterschiedlichen Materialien – das macht Outfits interessanter. Ob ein hübscher Satinrock zum Strickpullover, eine robuste Lederhose zur Seidenbluse oder ein fließendes Plisseekleid zum edlen Kimono –diese verschiedenen Texturen setzen unsere medizinische Kompressionsversorgung gekonnt in Szene. Auch unerwartete Details wie farbige Schnürsenkel, außergewöhnliche Accessoires wie Hüte oder Schmuck runden Looks ab. Und für alle, die sich etwas mehr trauen, können auch Kristall-Motive oder Design- und Fashion-Elemente wie das neue mediven Muster Bloom Outfits veredeln.“
Freut es Sie, wenn Sie von anderen Betroffenen positive Rückmeldungen zu Ihren Outfits bekommen?
„Natürlich ist es schön, wenn ich andere Lipödem-Patienten mit meinen Outfits inspiriere und sie sich zum Beispiel aufgrund meiner Posts wieder an Kleider oder Röcke wagen. Viel wichtiger ist mir aber, Menschen zu ermutigen, den eigenen Körper zu akzeptieren, zu lieben und sich wohlzufühlen – ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Und auch das kann Mode leisten: sich mit seinem Körper auseinanderzusetzen und zu sich selbst zu finden. Die beste Version seines Selbst zu werden! Und wenn ich, meine Vorträge, meine Social-Media-Aktivitäten oder mein Buch dabei helfen können, dann habe ich einen wertvollen Beitrag geleistet und mein Ziel erreicht. Ich bin unglaublich stolz auf alle, die diesen Weg gehen – und die ich dabei begleiten darf. Emotional wie fachlich.“
Danke für das Interview.
Über medi
Für das Unternehmen medi leisten am Standort Bayreuth rund 1.800 Mitarbeiter (weltweit rund 3.000) einen maßgeblichen Beitrag, dass Menschen sich besser fühlen. Das Ziel ist es, Anwender und Patienten maximale Therapieerfolge im medizinischen Bereich (medi Medical) und darüber hinaus ein einzigartiges Körpergefühl im Sport- und Fashion-Segment (CEP und ITEM m6) zu ermöglichen. Die Leistungspalette von medi Medical umfasst medizinische Kompressionsstrümpfe, adaptive Kompressionsversorgungen, Bandagen, Orthesen, Thromboseprophylaxestrümpfe, Kompressionsbekleidung, orthopädische Einlagen und digitale Gesundheitslösungen. Zudem fließt die langjährige Erfahrung im Bereich der Kompressionstechnologie auch in die Entwicklung von Sport- und Fashion-Produkten mit ein. Der Grundstein für das international erfolgreiche Unternehmen wurde 1951 in Bayreuth gelegt. Heute liefert medi mit einem Netzwerk aus Distributoren sowie eigenen Niederlassungen in über 90 Länder der Welt. Mehr Informationen unter www.medi.de
Bild: ©Caroline Sprott
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