Kleiner Horrorladen: Unerwartet perfekte Musicalinszenierung beim Seefestival Wustrau

Es gibt Gelegenheiten, da spürt man in den ersten drei Sekunden, ob es ein guter oder ein schlechter Abend wird. Die ersten Momente beim gestrigen Besuch des Musicals „Der kleine Horrorladen“ im Rahmen des Seefestivals im brandenburgischen Wustrau, waren solche Sekunden der Entscheidung: Die ungekünstelte Herzlichkeit, mit der wir bereits an der Kasse empfangen wurden, war so gewinnend, dass man sich sofort willkommen fühlte. Zum Glück waren wir frühzeitig da, wodurch wir nicht nur hervorragende Plätze aussuchen konnten, sondern auch das schöne Schloss von Wustrau von allen Seiten, vom See und den angrenzenden Lenné-Park aus begutachten konnten. Sogar für eine Runde Erfrischungsgetränke war noch Zeit, so dass wir mit bester Laune und tiefentspannt dem Beginn der Show entgegensehen konnten.

Und hier galt die Drei-Sekunden-Regel erneut, denn die ersten Töne eines Musical sind die entscheidenden! Was für eine Erleichterung, als die drei tanzenden und singenden Darstellerinnen die Schlosstreppe herunter stolzieren: präzise, inbrünstig, souverän geben sie den kommentieren Chor, der das ganze Stück begleitet und einrahmt. Was für ein Auftakt, was für eine Beruhigung, denn ab diesem Moment wußte man: Es wird großartig! Keine Sorge vor peinlichen Fremdschäm-Momenten oder traurigem Tröstapplaus. Nein, man darf entspannen und genießen! Chrystal (Henriette Schreiner), Ronnette (Gloria Veit) und Chiffon (Myrea Marclay) geben die Richtung vor, die während der gesamten Aufführung erhalten bleiben wird: hier wird professionelles Musical auf hohem Niveau gegeben – und das auf einer Freiluftbühne im märkischen Sand, irgendwo zwischen Hamburg und Berlin! Hammer!

Und dieses Omen bewahrheitet sich mit jedem Künstler, der als nächstes die Bühne betritt: Mr. Mushnik (Andreas Göbel) macht den Anfang als grummeliger Inhaber des Blumenladens, es folgen die Hauptfiguren Audrey (Sofia Larrson-Utas) und Seymour (Johannes Hallervorden), die schauspielerisch, gesanglich und tänzerisch sicher und mit Verve und Spielfreude ihren Rollen verkörpern. Die nett gemeinte Referenz zu Papa Hallervorden (Palim, Palim) nervt bereits beim zweiten Mal, aber zum Glück wurde das auch von den Darstellern selbst erkannt und das Abstellen der Türglocke beim Eintreten in den Blumenladen eingebaut. Auch sonst zeigt sich Regisseur Kai Hüsgen, der zugleich den sadistischen Zahnarzt Dr. Orin Scrivello verkörpert, angenehm zurückhaltend bei zeitgenössischen Textanpassungen oder dem Einbau platter Schenkelklopfer. Stattdessen orientiert er sich eng am filmischen Original – zur großen Freude aller, die den Film kennen, denn dieser gilt nach wie vor als Maßstab. Lediglich an einigen Stellen erfordert die Umsetzung kleine Anpassungen an die Möglichkeiten einer begrenzten Theaterbühne. Und das Einschummeln einer Dose Würstchen des Sponsors „Dreistern“ in einen Liedtext ist nicht nur verzeihlich, sondern ein gelungener Gag.

Wie kann sich ein kleines Sommertheaterfestival eigentlich so ultracoole Requisiten wie die fortlaufend wachsende Horrorpflanze Audrey Zwo leisten?! Gibt es das als Komplettset zu mieten? Jedenfalls ist das die zweite megaschöne Überraschung: die zentrale Figur der Handlung und Bösewicht des Stückes, die blutsaugende und ganze Menschen vertilgende Weltraumpflanze ist a) toll anzusehen – und zwar in jeder Wachstumsphase, denn sie wird erst niedlich als Handpuppe, später tatsächlich furchteinflößend gespielt von dem gelernten Puppenspieler Colin Danderski und b) von der ausdrucksstarken, kraftvollen Stimme von Lynn Ann Williams gesprochen und gesungen, die eine breite Palette von Stimmfarben nutzt, von lieblich-bezirzend bis gierig und dreckig. Leider ist die Pflanze die schwierigste und zugleich undankbarste Rolle: Die Darsteller müssen wahnsinnig abliefern und sind nicht mal zu sehen!

Wer viel zu erleben ist, fast in jeder Szene auf der Bühne, ist tatsächlich Johannes Hallervorden. Und da fragt sich man schon, wie er das macht. Der 26-Jährige ist im Juli und August 2025 in nicht weniger als 7 verschiedenen Stücken zu sehen. In Wustrau nicht nur im Horrorladen, sondern auch mit einer Frank Sinatra-Covershow sowie fünf weiteren verschiedenen Stücken in seinem Berliner Theater am Frankfurter Tor. Wie merkt man sich so viele Texte? Und Lieder? Und Gesten? Und Positionen und und und…? Und nochmal: Es gab keine bemerkbaren Texthänger, keine Verzögerungen oder Unsicherheiten – es war von allen perfekt gespielt. Und dass am Schluss, nach über zwei Stunden Show, die An-Spannung einer fröhlichen Ent-Spannung weicht, merkt man in der Schlussnummer, dem großen Finale, wenn alle Darsteller gemeinsam auf der Bühne stehen und so ausgelassen und glücklich wirken, dass sich auch dieses Freude auf die Zuschauer überträgt. Hut ab vor dieser Gesamtleistung!

Nebenbei bemerkt: Auch die Technik hat hervorragend funktioniert: der Ton hat ideal verstärkt, so dass man jedes Wort verstehen konnte, ohne dass es zu laut wurde – auch das ist bei einem temporären Freiluftspektakel keine Selbstverständlichkeit; das Licht hat immer gepasst, sogar Spezialeffekte (mehr wird nicht verraten) haben auf die Sekunde gezündet.

Man fragt sich, ob man hier in Ostprignitz-Ruppin eigentlich ausreichend wertschätzt, was Festivaldirektor Marten and und Choreographin Gesine Sand hier bieten. Die große Anzahl und Vielfalt der Sponsoren jedenfalls spricht dafür: gefühlt sind alle örtlichen Unternehmen und aus dem benachbarten Neuruppin Partner des Festivals. Außerdem wird es vom Land Brandenburg und dem Landkreis OPR unterstützt. Man muss diesen und allen weiteren Sponsoren auch ein herzliches Dankeschön sagen, weil sie diese wunderbaren, Glücksgefühle verbreitende Festivalabende am See möglich machen.

Bilder: ©pegü

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