Das Viertel am Schloß liegt in Charlottenburg-Wilmersdorf am Spandauer Damm unmittelbar gegenüber des Schloßes Charlottenburg. Seine westliche Grenze geht an der Promenade der breiten Schloßstraße fließend über in den Klausener Kiez. Im Norden begrenzt das Schloß mit dem dahinter liegenden Park das Viertel. Seine östliche Grenze ist die Kaiser-Friedrich-Straße, seine südliche die Bismarckstraße.
Marcus Schulz streckt sein Beine von sich fort.* Der Umzugshelfer, 29, ist nach einem anstrengenden Arbeitstag erschöpft und sitzt in einem Blaumann vor der meterhohen Tonvase am nördlichen Ende des Schustehrusparks im Ortsteil Charlottenburg auf einer Bank (4. November). Fehlen auf dem Weg zur Erholung nur noch die vier Treppen hoch zur Wohnung in seinem Mietshaus ohne Fahrstuhl, später. Nach dem Zwischenstopp im Park. Vor sich hält der hochgewachsene Mann mit dem tellerförmigen Schmuck in den Ohrläppchen sein Smartphone. Ob ihn seine Freundin heute noch besuchen kommt, das wisse er noch nicht. Je nach ihrer Erschöpftheit.
Ruhige Jugend
Er sei hauptsächlich zuhause, wenn er in dem Viertel ist. Seit vier Jahren lebt er in einer groß geschnittenen Wohnung wenige Straßen entfernt. „Hier ist nichts los.“, kritisiert er. Bis auf den Weihnachtsmarkt einmal jährlich im Dezember passiere: nichts. Deswegen orientiere er seine Freizeit vorwiegend in Richtung Neukölln. In dem Bezirk ist er geboren, nah der Sonnenallee. Dort finde er die Abwechslung, die er suche.
Für Familien mit kleinen Kindern und jungen Kindern sei das Viertel mit den vielen Pflanzen, mit den Spielplätzen, Schulen und dem großen Park ideal. Für Jugendliche nicht mehr, erzählt er weiter. Mehrfach habe er Probleme gehabt, Freunde zu sich zu bekommen.
„Sollen die doch bleiben, wo sie wollen.“, so Marcus Schulz. Der große Schloßpark nebenan gefällt ihm dagegen. Der sei einer der Grund, warum er in dem Viertel bleibe. Neben den vergleichsweise niedrigen Mietpreisen natürlich. Der Handwerker verabschiedet sich, zieht sein Basecap mit großem Buchstaben M wieder auf, steht auf und geht. Ein älterer Mann mit Fahrrad setzt sich kurze Zeit später an den Platz und dreht sich eine Zigarette.
Das Viertel Am Schloß ist keines von den Berliner Vierteln, die eine starke Identität aufweisen. Vielmehr ist es zwischen Vierteln mit stärkerer Identität um sich herum – übrig: den Zille-Kiez im Osten, den Kiez um den Stuttgarter Platz im Süden, den Kiez um den Klausener Platz ist Westen. Sein wesentlichster Bezugspunkt ist das große Schloß Charlottenburg an seinem nördlichen Ende mit seinem noch größeren Schloßgarten. Das macht es besonders, ebenso wie seine natürliche Bodensenkung.
In der Senke
Die Senkung wird von Anwohnern auch als das Nasse Dreieck benannt. Von der einst sumpfigen Gegend ist ein instabiler Untergrund mit hoher Feuchtigkeit erhalten geblieben. Er verhinderte, dass in dem mehrere Fußballfelder großen Bereich Häuser wie in anderen Straßen gebaut werden konnten. Nur leichte Bebauungen halten. Heute liegen hier Spielplätze, Sportplätze, eine Sporthalle und ein kleiner Park.
Trotz der kühlen, herbstlichen Temperaturen um die 14 Grad sind etliche AnwohnerInnen an dem Nachmittag auf den Straßen. Bei bedeckten Himmel und leicht durch die Luft wehendem Laub führen einige Hunde aus, andere spazieren durch das gelblich-rötliche Laub. Vorbei am kleinen gefüllten Eisenbecken einer öffentlich Wasserpumpe und an den nach historischem Denkmalschutz sanierten Vorgärten der Stadtvillen vor dem Schloß Charlottenburg.
Wieder andere erledigen Einkäufe oder treffen sich in Cafés an den Rändern des Viertels hin zu den breiten Verkehrsstraßen Spandauer Damm und Kaiser-Friedrich-Straße. Eine Oma hält ihr auf ihren Schultern sitzendes Enkelkind fest und geht mit ihm vorsichtig wippend zur Promenade vor dem Schloß. Eine andere Oma versucht ihres über die Straße zu bekommen. Sie zieht am Ärmchen des dick eingepackten Kleinen mit Schnuller im Mund.
er Kleine zieht in die andere Richtung. Sie redet ihm gut zu. Er bäumt sich mit dem ganzen Körper auf, die Beine der Oma hoch. Sie packt zu. Kein Entkommen. Sie setzt ihn in den Wagen und überquert die Straße. In der Straßenmitte auf der breiten Promenade hat sie einen direkten Blick auf den in einiger Entfernung liegenden zentralen Eingang des Schloßes mit seiner etwa 40 Meter hohen Kuppel.
Denkmalschutz
In der Straßenmitte auf der breiten Promenade hat sie einen direkten Blick auf den in einiger Entfernung liegenden zentralen Eingang des Schloßes mit seiner etwa 40 Meter hohen Kuppel. Die wird bald saniert. So wie der ganze, über 500 Meter lang Gebäudekomplex samt Nebengebäuden. Als Hüllensanierung und Energetische Sanierung wird der Prozess auf einem großen Plakat neben dem Eingang beschrieben, mit der Bundesrepublik Deutschland als Auftraggeber. Die verantwortliche Institution ist die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg.
Bis 2017 soll alles fertig sein. Die Baukosten sollen sich planmäßig auf 14,3 Millionen Euro belaufen. Unabhängig davon soll der ganzjährig geöffnete Schloßpark so weit wie möglich offen bleiben. Abends wird er stets verschlossen. Bis 18 Uhr kann ihn jedeR besuchen.
Das war nicht immer so. Als Charlottenburg zu Zeiten der gering ausgebildeten deutschen Parlamente noch Teil einer Monarchie war und als Residenzstadt König Friedrich I. als Schloß in ursprünglichem Sinn beherbergte, war das Areal streng abgeriegelt. Vor dem Bau wohnten Hofbeamte, mit zunehmender Entfernung die Mitglieder des Hofes auf niedrigeren Ebene in der Hierarchie.
So erklärt sich auch, warum die Altbauten unmittelbar neben dem Schloß relativ groß gebaut sind im Vergleich zu durchschnittlichen anderen Berliner Altbauten. Sie beinhalten bis zu neun Zimmer pro Wohnung auf, haben hohe Eingänge und große Innenhöfe. Das Museum Villa Oppenheim in der Schloßstraße, das Heimatmuseum von Charlottenburg-Wilmersdorf, erzählt die städtebauliche Entwicklung im Detail weiter.
„Mama, darf ich da spielen, weil Pascal da ist?“, fragt ein Kind in der Hebbelstraße vor einem Spielplatz. Langsam wird es dunkel. Die Scheinwerfer des großen Fußballplatzes neben dem Spielplatzes sind bereits eingeschaltet. Nein, das Kind darf nicht. Pascal dagegen schon. Der Junge spielt neben rund 30 anderen Kindern und mitgebrachten Eltern. Die Kinder rufen durcheinander, schaukeln, klopfen Sand in Plastikformen und streiten sich um die Belegung eines kleinen metallenen Dreh-Gerätes.
Hinter dem Grünen
Trotzdem wirken die Straßen um die nebeneinander liegenden Spiel- und Sportplätze entspannt. Das liegt an der umfangreichen Begrünung mit Bäumen, Büschen, Hecken, Rasen und vielen anderen Pflanzen. Sie absorbieren die Lautstärke und verdecken vieles von dem Geschehen. Auch von dem für Kinder und Jugendliche gefährlichem Geschehen. Mehrere AnwohnerInnen erzählen, wie sie im Schustehruspark immer wieder DrogenverkäuferInnen beobachten oder von ihnen angesprochen werden. Was für Erwachsene einschätzbar ist, ist es für Jüngere gegebenenfalls nicht, so eine Mutter.
Der Feierabendverkehr setzt auf dem breiten Spandauer Damm ein. Schnell stauen sich Autos, ebenso schnell lösen sich die Schlangen an Fahrzeugen an dem Tag aber auch wieder auf. Eine Großmutter schiebt ihren Enkel in einem Kinderwagen entspannt in dem beleuchteten Bereich an Schloss entlang. Drinnen sei er zu unruhig, erzählt sie. Heute. Ihm wachsen gerade die ersten Zähne.
Wie ist es, direkt an einem Schloß zu wohnen? „Sehr schön“, sagt sie und sieht in Richtung Schloßpark. Die Gegend sei ruhig, problemarm. Wie aber auch viele andere Gegenden. Sie rückt den Junge im Kinderwagen in eine aufrechte Position. Der Kleine lächelt. Sie schiebt ihn wippend davon.
* Name von der Redaktion geändert (Artikelfoto: J.Tust)
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