Berlin ist ja angeblich arm, aber sexy. Ein Sonntagsspaziergang im „touristischen Zentrum“ der Stadt bringt einen irgendwie auf die Idee, dass es sich um gar schmutzige Ausformungen des Liebesspieles handeln muss.
Ein Kommentar von Lisa Steiner
Denn zwischen Friedrichstraße und Hackeschem Markt ist der Uferweg an der Spree keine Flanier-, sondern eine Müll-Meile. Schon knapp nach Mittag quillt so gut wie jeder der (zahlreich vorhandenen) städtischen Mülleimer über. Die logische Reaktion des entspannungsbedürftigen Volkes ist jedoch nicht etwa, den Mist anderswo zu entsorgen. Nein. Eimer voll heißt in Berlin – egal, ob für „Ureinwohner“, Zugezogene oder Touristen offenbar: Du darfst. Du darfst deinen Dreck einfach liegen lassen. Gaaanz Brave unter den Zeitgenossen tragen die Überreste ihres Picknicks wenigstens bis zum nächsten Eimer … um ihn dann dort drunter oder daneben liegen zu lassen.
Einfach die Müllabfuhr (also die Stadt) als Schuldigen auszumachen, greift in diesem Falle zu kurz. Denn, wie der Lokalaugenschein ergibt, sind im betreffenden Uferabschnitt und in/an den angrenzenden Grünflächen mehr Behältnisse zur Müllentsorgung zu finden als normalerweise in Berlin. Soll heißen: Alle paar Meter steht ein Mülleimer. Noch mehr davon aufstellen bringt irgendwie nichts, weil, ehrlich: Wollen wir auf der Wiese oder zwischen Eimern sitzen? Auch häufigere Entleerung derselben ist unrealistisch: Hunderte bis Tausende Mist-Macher täglich … da müsste die Müllabfuhr wohl alle zwei bis drei Stunden kommen.
Zeitgeist
Die nähere Beschäftigung mit dem Zurückgelassenen – sprich eine „Müllanalyse“ – lässt sich mit den Schlagworten: „Coffee to go – Mist to stay“ kurzfassen. Ein mitverursachendes Hauptproblem des wachsenden öffentlichen Mist-Meeres ist sicherlich in unserer „aber bitte zum Mitnehmen-Mentalität“ zu sehen. Wer im Restaurant oder zu Hause isst und trinkt, verursacht per se weniger Müll. Die häufige Inanspruchnahme von „Take Aways“ einzig dem Einzelnen, der es praktiziert, anzulasten, ist aber auch wieder zu kurz gedacht. Wir leben in einer Gesellschaft, in der viele von uns für lebensnotwendige, alltägliche Dinge wie Nahrungsaufnahme nicht mehr so richtig Zeit haben. Daher „muss“ sogar das Essen mitgenommen werden, um es schnell auf dem Weg ins Büro zu verzehren. Allerdings gibt es auf dem Weg ins Büro oder beim Büro sicher noch eine Mülltonne, die nicht überquillt. Ein Ansatz wäre also, sich selbst an der Nase zu nehmen, ehe der Mist in der Wiese stinkt.
Weitere Möglichkeit – zwar nicht ganz nett, aber vielleicht notwendig: Das Ordnungsamt könnte am Schand- bzw. Mist-Fleck von Mitte mal ein wenig aufräumen. Wer seinen Mist am Ufer lässt, darf ruhig auch ein wenig Geld in der Stadtkasse lassen.
Insgesamt werden natürlich auch Strafen das Müllproblem in Berlins touristischer Mitte nicht lösen. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Wenn wir nicht irgendwann ganz im Mist versinken wollen, müssen Politik und Wirtschaft – weltweit – und jeder Einzelne – lokal – anfangen, Dinge zu ändern.
(Fotos: © L.Steiner)
Dieser Inhalt ist nur für registrierte Nutzer sichtbar. Wenn Sie sich bereits registriert haben, melden Sie sich bitte an. Neue Nutzer können sich weiter unten registrieren.