ADHS – die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Nicht nur das Wort ist komplex und schwierig, sondern auch die Krankheit selber. Sie trifft – was selten nur ins Bewusstsein der Öffentlichkeit kommt – bei Weitem nicht nur Kinder und Jugendliche. In Deutschland sind Schätzungen zufolge mehr als zwei Millionen Erwachsene von ADHS erkrankt, viele davon ohne etwas davon zu ahnen. Zudem zeigen sich die Symptome nicht nur durch Unruhe und Ziellosigkeit. Experten zählen auch viele der sogenannten „Träumer“ zu Betroffenen. Doch gleichgültig, wie sie sich zeigt – es gibt äußerst erfreuliche Therapie-Erfolge.
Bei dem Wort ADHS denken die meisten Menschen an Kinder und Jugendliche mit schulischen und familiären Problemen, die sich kaum konzentrieren können, die weder still sitzen noch sich länger mit einer Aufgabe beschäftigen können. „Das ist aber bei Weitem nicht die ganze Bandbreite der Krankheit – und auch nicht die einzige Patientengruppe“, betont der Münchner ADHS Experte Dr. med. Ulrich Rothfelder. Bei Erwachsenen tritt die Krankheit mit einer Häufigkeit von 2 bis 3% auf und bis zu 80% der im Kindesalter Betroffenen leiden auch noch als Erwachsene darunter. Und Unruhe ist längst nicht das einzige Symptom.
ADHS-Träumer im „Jenseits“
Auch wenn die große Mehrzahl von ADHS betroffener Menschen die typischen Symptome zeigt wie Unkonzentriertheit, Vergesslichkeit, überschießende emotionale Reaktionen, generelles Lebenschaos – es gibt eine Gruppe Erkrankter mit ganz anderen Anzeichen: Menschen, die mitten im Alltag einfach „abschalten“, die scheinbar für eine gewisse Zeit die Verbindung mit der Realität verlieren. Im Schulalter schauen sie verträumt aus dem Fenster, als Auszubildende oder Studenten können sie keinem Vortrag konzentriert folgen, als Erwachsene erscheinen sie häufig irgendwie gedanklich abwesend. Nochmals Dr. Rothfelder: „ADHS verschwindet vielfach nicht einfach an der Schwelle zum Erwachsenen-Alter. Die Störung weist zudem eine extreme Vielfalt an Symptomen auf, wird häufig durch andere psychische Leiden überlagert.“ So finden Therapeuten zum Beispiel bei etwa 40% der Betroffenen eine depressive Belastung, bei 20% eine Angststörung und bei weiteren etwa 35% lässt sich ADHS nur sehr schwer von anderen ernsthaften Persönlichkeitsstörungen wie z.B. dem schwer behandelbaren Borderline-Syndrom oder der Bipolaren Störung abgrenzen. Auch die erwähnten „Träumer“ sind keinesfalls leistungsunwillige Verweigerer, sondern leiden häufig einfach nur unter einer besonderen Ausprägung dieser Störung.
Medikamentös regulierbar
Immer wieder wird die Frage gestellt, was die Seele auf eine solche weitreichende Art und Weise durcheinander bringt? Auch heute noch kann die Wissenschaft darauf keine eindeutige Antwort geben. Vermutlich gibt es einen großen Anteil genetischer Veranlagung – Experten schätzen ihn auf etwa 70%. Bei den Betroffenen findet sich in bestimmten Hirnregionen ein zu niedriger Pegel des Botenstoffs Dopamin, was zu Störungen bei der Weiterleitung von Nervenreizen führt. Genau hier kann eine der wichtigsten Therapiesäulen von ADHS ansetzten, die Behandlung mit Methylphenidat (MPH). In der Vergangenheit wurden immer wieder Bedenken geäußert gegen eine medikamentöse Therapie – gefordert wurde ein Vorrang psychotherapeutischer Maßnahmen.
Dass die medikamentöse Therapie entgegen früherer Lehrmeinung einer rein psychotherapeutischen Behandlung jedoch deutlich überlegen ist, zeigt eine aktuelle, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützte, pharmaunabhängige Studie1 der Universitätsklinik Freiburg. Nach etwa drei Monaten zeigte sich bei 75% der mit Methylphenidat behandelten erwachsenen ADHS-Patienten eine deutliche Verbesserung des Gesamtzustandes. Immer mehr Ärzte sind daher heute vom Nutzen einer medikamentösen Therapie überzeugt, deren Wirkstoff gezielt in die gestörte Dopamin-Regulation eingreift und zu einer spürbaren Normalisierung beiträgt. Ein Effekt, der übrigens bereits innerhalb kurzer Zeit, häufig schon nach der ersten Tablette spürbar wird – „als habe man einen Schleier weggezogen“, wie viele Patienten die Wirkung beschreiben.
Selber prüfen – dank WHO Schnelltest
Durch ihre vielfältigen Erscheinungsweisen gehört ADHS zu den am schwierigsten zu diagnostizierenden seelischen Störungen überhaupt. Kein Wunder, dass in Expertenkreisen ADHS als deutlich unterdiagnostiziert gilt. Da hilft es sehr, dass zur Diagnose mittlerweile standardisierte, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelte Verfahren zur Verfügung stehen, die auch von Hausärzten zunehmend genutzt werden. Als sehr hilfreich erweist sich zudem ein von der Weltgesundheitsorganisation WHO entwickelter Selbsttest. Jeder, der an sich oder ihm lieben Menschen eine ADHS-Symptomatik vermutet, kann damit zumindest eine vorläufige Antwort erhalten auf die Frage: Kann ich eventuell von ADHS betroffen sein? Der dann unbedingt notwendige Gang zu einem Arzt des Vertrauens mag zwar zuerst Überwindung kosten, könnte aber der Beginn eines völlig neuen Lebensgefühls sein. Denn konsequent diagnostiziert und entsprechend therapiert, lässt sich das Leiden vieler Betroffener effektiv und nachhaltig lindern.
1) Philipsen Alexandra, et. al. Effects of Group Psychotherapy, Individual Counseling, Methylphenidate, and Placebo in the Treatment of Adult Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder. A Randomized Clinical Trial. JAMA Psychiatry. 2015 Dec 1;72(12):1199-210. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2015.2146.
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